100 Jahre Verfassung: Armutskonferenz legt Gesetzesentwurf für soziale Menschenrechte vor
Die Schönheit der Verfassung würdigen, heißt sie vervollständigen: Menschenwürdiges Dasein, Mindestversorgung, Gesundheit und Bildung
(30.09.2020) Die Armutskonferenz konkretisiert aus Anlass 100 Jahre Verfassung den langjährigen Plan, soziale Menschenrechte als Verfassungsrechte anzuerkennen, und legt zum Jubiläum einen konkreten Gesetzesentwurf vor. „Die Schönheit der Verfassung zu würdigen, heißt sie um soziale Menschenrechte zu vervollständigen“. Bereits der Konvent zur Reform der österreichischen Verfassung hatte sehr weit fortgeschrittene Bestimmungen diskutiert. Das Regierungsprogramm sieht eine Erweiterung des Grundrechtskatalogs vor.
Österreich-Konvent und Europäische Grundrechtscharta als Vorbild
Der Entwurf der Armutskonferenz „Bundesverfassungsgesetz soziale Sicherheit“ sieht neben der Gewährleistung eines „menschenwürdigen Daseins“ für alle Menschen folgende Rechte vor: das Recht auf Gesundheitsversorgung, das Recht auf Bildung und das Recht auf Mindestversorgung. „Jeder Mensch hat das Recht auf Mindestversorgung, die ein menschenwürdiges Dasein, insbesondere materielle Sicherheit, soziale und gesellschaftspolitische Teilhabe, gewährleistet“, heißt es im Gesetzesentwurf der Armutskonferenz. Weiters macht der Entwurf Vorschläge für menschenrechtsbasierte Budgets und damit verbunden die Verwendung von öffentlichen Mitteln auf Basis von Menschenrechtsprinzipien, insbesondere der Nicht-Diskriminierung und Verteilungsgerechtigkeit.
Der Entwurf folgt weitestgehend den Diskussionen im Österreich-Konvent, sowie der Grundrechtscharta der Europäischen Union. Das vorgeschlagene Bundesverfassungsgesetz würde das gesamte Menschenrechtsspektrum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Österreich in Verfassungsrang stellen und damit auch die langjährige Forderung, die Rechte aus dem Pakt für wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte (BGBl. 590/1978) anzuerkennen, erfüllen.
Erweiterung des Grundrechtskatalogs notwendig
Das Verfassungsjubiläum ist der richtige Moment, um das Vorhaben der Regierung, den Grundrechtskatalog zu modernisieren, aufzugreifen. Das österreichische Verfassungsrecht enthält – anders als zum Beispiel das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – weder soziale Grundrechte, noch eine Sozialstaatsklausel oder einen speziellen Grundrechtsschutz für sozialrechtliche Leistungen. In der österreichischen Verfassung sind bereits wirtschaftliche Grundrechte – wie das Recht auf Erwerbs- und Eigentumsfreiheit – verankert, aber keinerlei soziales Grundrecht. Es ist wichtig und unverzichtbar, dass unsere Freiheitsrechte vor staatlichen Übergriffen geschützt werden. Aber unser Grundrechtskatalog bleibt eine halbe Sache, wenn nicht auch die sozialen Existenzgrundlagen abgesichert werden.
So hält das deutsche Bundesverfassungsgericht fest, dass „Menschen nicht auf das schiere physische Überleben reduziert werden dürfen, sondern mit der Würde mehr als die bloße Existenz und damit auch die soziale Teilhabe als Mitglied der Gesellschaft gewährleistet“ werden muss. Einer Spaltung in einen physischen „Kernbereich“ und einen sozialen „Randbereich“ der Existenzsicherung erteilt das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage.
Download: Entwurf zu einem "Bundesverfassungsgesetz soziale Sicherheit"