"Igendwie verliert man den Stolz"
Eine Kärntner Mindestsicherungs-Bezieherin erzählt von ihrem Alltag mit finanziellem Minimum, Existenzängsten und Wünschen.
Ein Alltag mit 838 Euro im Monat. Maria S. aus Mittelkärnten, so nennen wir sie, weil sie unerkannt bleiben will, kennt ihn. Leben mit dem Minimum. Auf absoluter Sparflamme. Alltag mit Mindestsicherung, die jetzt politisch so heftig diskutiert wird.
61 Jahre alt, keine Berufsausbildung, jung geheiratet, zwei Kinder, Hausfrau, so nebenbei immer wieder etwas dazuverdient. Ein gutes Leben. Dann die Scheidung. Kein Beruf. Ein körperliches Handicap nach einem ärztlichen Kunstfehler in früher Kindheit schränkt ein. „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, sagt Maria.
Wie kam es, dass Sie zum Mindestsicherung ansuchen mussten?
MARIA S.: Im Vorjahr, nach dem Tod meiner Mutter, musste ich den Schritt aufs Sozialamt setzen. Es war furchtbar. Bis dahin war meine Mutter meine Geldgeberin. Sie war mein Alles. Auch meine zwei erwachsenen Kinder haben mir immer wieder ausgeholfen. Sie haben das ausgeglichen, was jetzt die Mindestsicherung macht. Aber ich kann sie ja nicht immer anbetteln. Mein Ex-Mann muss mir 580 Euro Unterhalt zahlen, die Differenz auf die 838 Euro erhalte ich Mindestsicherung.
Ein Alltag mit absolutem Sparduck?
MARIA S.: Wegen einer Lungenkrankheit musste ich jetzt in eine Erdgeschoß-Gemeindewohnung umziehen. Für 60 Quadratmeter zahle ich 330 Euro Miete, 70 Euro für Fernwärme, 50 Euro für Strom. Abzüglich einer Haushalts-, einer kleinen Sterbeversicherung und kleinen Krankenversicherung bleiben mir zirka 200 Euro im Montag zum Leben. Wenn die Waschmaschine kaputt, eine neue Brille oder eine Zahnsanierung notwendig ist, dann wird das zum großen Problem. Denn als Mindestsicherungsbezieherin krieg ich auch keinen Kredit. Zuletzt war ich total glücklich, weil mir Kärntner in Not finanziell geholfen hat.
Wie teilen Sie Ihr Geld ein?
MARIA S.: Ich kaufe nur zu Aktionspreisen ein. Das Notwendigste. Bei den Lebensmitteln das, wo die 50-Prozent-Pickerln draufkleben. Meine Tochter bringt mir auch immer wieder etwas. Kleidung kaufe ich beim Diskonter im Abverkauf. Drei bis zehn Euro das Stück. Sollte es einmal teurer sein, hab’ ich ein schlechtes Gewissen. Meine zwei Freundinnen, die eine Mindestpension kriegen, haben es leichter. Sie bekommen zwei Mal im Jahr die doppelte Pension. Da hat man dann einen Puffer, kann etwas ansparen.
Was war das für ein Gefühl, beim Sozialamt um Mindestsicherung ansuchen zu müssen?
MARIA S.: Ich konnte nächtelang nicht schlafen, kam mir so minderwertig vor. Irgendwie verliert man seinen Stolz. Mein Ex-Mann hat sehr gut verdient. Damals hab ich immer wieder armen Kindern geholfen. Jetzt bin ich froh, wenn mir jemand hilft. Seit dem Tod meiner Mutter bin ich seelisch krank und in ärztlicher Behandlung.Ich glaube, meine Panikattacken habe ich wegen der Existenzängste. Es stimmt schon, wenn es heißt: Armut macht krank.
Wissen Ihre Nachbarn, Bekannten oder Verwandten, dass Sie Mindestsicherung beziehen?
MARIA S.: Nein. Ich schäme mich. Nur meine zwei Freundinnen wissen Bescheid. Manchmal tut es mir weh, wenn sie von Ausflügen berichten. Da kann ich nicht mithalten. Ich will mich deshalb auch keiner Pfarr- oder Seniorengruppe anschließen. Soll keiner draufkommen, dass ich kein Geld habe. Ich würde ja liebend gerne arbeiten. Wenn man mir einen Job anbieten würde, ich wäre sofort dabei, auch mit 61. Was mich so quält, ist der ärztliche Kunstfehler und meine Verkrüppelung seither. Da hab ich nie eine Entschädigung bekommen. Ich krieg auch keine Pflegegeld.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie die politische Diskussion über die Kürzung bzw. Deckelung der Mindestsicherung hören?
MARIA S.: Die da diskutieren, haben dicke Brieftaschen und keine Ahnung, was Armut bedeutet Man lebt und ist irgendwie tot. Am liebsten würde ich ins Parlament nach Wien fahren und denen meine Meinung sagen. Ich bin persönlich verletzt und grantig, kann nicht sagen, ob ich überhaupt noch einmal zu einer Wahl gehen werde. Aber wenn ich dran denke, dass die Mindestsicherung gekürzt werden könnte, dann wär’s mir lieber, nicht mehr zu leben.
Die Parteien mit Ausnahme von SPÖ und Grünen fordern, dass Asylberechtigten die Mindestsicherung gekürzt werden soll. Was meinen Sie?
MARIA S.: Die, die wirklich fliehen mussten, weil’s um ihr Leben ging und jetzt hier in Österreich den Asylstatus kriegen, denen gönn ich die Mindestsicherung so, wie sie ist. Wenn sie gleich behandelt werden wie wir Einheimische, finde ich es ok. Die haben ja auch alles verloren und sind wie ich auf andere angewiesen.
Welchen Wunsch würden Sie sich erfüllen, wenn Sie mehr Geld hätten?
MARIA S.: Ich würde ganz normal leben. Hätte einen flotten Kurzhaarschnitt. Denn dann könnte ich einmal im Monat zum Nachschneiden zum Frisör gehen.
Interview von Andrea Bergmann
Beitrag zuerst erschienen in der Kleinen Zeitung Kärnten im Februar 2016.