Dokumentation Foren 24.02.2015: "Was wurde eigentlich aus ..."
Artikel und Beiträge der Referent*innen in den Foren am 24.02.2015
Viele haben sich in den letzten 20 Jahren an Maßnahmen- und Strategieentwicklung und an gemeinsamen Aktivitäten zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut beteiligt. Die Armutskonferenz fragt nach, was aus den Anliegen und Lösungsansätzen der letzten 20 Jahre geworden ist. Was wurde aus der „Mindestsicherung“? Und was aus der „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“? Was aus der „Partizipation“? Was wurde eigentlich aus der „Gesundheitsförderung“? Und was aus dem „sozialen Aufstieg durch Bildung“? Was wurde aus dem „Sozialstaat“?
Was wurde aus der Gesundheitsförderung? (Forum 2.1)
Rainer Gross: Was wurde aus der Gesundheitsprävention?
Die Diskussion über Fragen der Gesundheits-Vorsorge wurde in den letzten Jahren im Rahmen des neoliberalen Diskurses massiv moralisch bzw. moralisierend geführt: Unter den Stichworten Selbstverantwortung/Eigenverantwortung wurde der Spieß im Vergleich zum Diskurs der Siebziger- oder Achtzigerjahre umgedreht: Während damals die Kritiker mehr Geld und mehr Einsatz der staatlichen Stellen in Richtung Gesundheitsprävention forderten, gilt nun: Die Menschen sind für ihre Gesundheit primär selbstverantwortlich, sollen daher vernünftig essen, nicht rauchen und genau so viel Sport treiben, dass die Gesundheit gesichert ist und die gefürchteten Zivilisationserkrankungen Bluthochdruck, Fettleibigkeit etc. vermieden werden.
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Friedrich Schorb: Dick, doof und arm?
Für die Anhänger der Eigenverantwortung ist die Sache klar. Übergewichtige sind übergewichtig, weil sie zu viel bzw. das Falsche essen. Und arme Menschen sind häufiger übergewichtig, weil sie sich keine Gedanken darüber machen, was sie essen sollten. Doch was sind, fernab aller Polemik, die wahren Gründe dafür, warum arme Menschen in den reichen Staaten tatsächlich häufiger dick sind als Wohlhabende?
Text erschienen in: Friedrich Schorb (2009): Dick, doof und arm? Die große Lüge vom Übergewicht und wer davon profitiert. Droemer Verlag, Seite 116-141
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Helga Wolfgruber: Burn out
Burnout, die jüngste Bezeichnung eines „Leidens (nicht nur) an der Arbeit“ ist in keinem medizinischem Diagnosemanual als Krankheit erfasst. Vielleicht erlauben sich Menschen daher leichter, sich das Leiden an einer „gesellschaftsfähigen Erschöpfung“ einzugestehen und sich dem Zwang zur Selbstoptimierung durch Krankheit zu entziehen, ohne sanktioniert zu werden. „Ich habe ja gebrannt“… „ich habe Leidenschaftlichkeit und Engagement bewiesen…..“
Der Text behandelt die Krankheitsstadien, gesellschaftliche/ politische und institutionelle Bedinungen sowie persönlichkeitsabhängige Faktoren und fragt nach notwendigen Maßnahmen auf gesellschaftlicher und organisatorischer Ebene um Burn-out-Erkrankungen vermehrt zu vermeiden.
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Armutskonferenz: Lücken und Barrieren im österr. Gesundheitssystem
In den österreichischen Rahmengesundheitszielen ist vermerkt: „Alle Bevölkerungsgruppen sollen über gerechte Chancen verfügen, ihre Gesundheit zu fördern, zu erhalten und wiederherzustellen. Bildung ist neben Sozialstatus und Einkommen ein zentraler Einflussfaktor auf die Gesundheit“ Und: „Das Gesundheits- und Sozialsystem ist so zu gestalten, dass ein gleicher, zielgruppengerechter und barrierefreier Zugang für alle Bevölkerungsgruppen gewährleistet ist“.
Diese Erhebung hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, zum einen Armutsbetroffene selbst zu fragen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen in den Mittelpunkt zu stellen, sowie zum anderen Themen und Felder mangelnder Barrierefreiheit zu erheben, an denen vertieft weiter gearbeitet werden kann.
Durchgehend wird ein partizipativer Ansatz verfolgt, der Menschen mit Armutserfahrungen in die Reflexion, Ausarbeitung und Präsentation der Ergebnisse miteinbezieht.
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Was wurde aus dem sozialen Aufstieg durch Bildung? (Forum 2.3)
Manfred Krenn: Qualifizierung und Prekarisierung! Wie die Entgrenzung von Bildung soziale Ausgrenzung erzeugt
Formale Bildung wird im Mainstream-Diskurs immer mehr zur Grundvoraussetzung für soziale Integration und für die Verteilung von sozialen Chancen erklärt. Denen, die ihrer „Pflicht zur Bildung“ nicht nachkommen, wird individuelle Verantwortlichkeit zugeschrieben. Aus Formen der Bildungsbenachteiligung wird somit mangelnde Beschäftigungsfähigkeit als individuelles Defizit. Bildungsbenachteiligung gerät in diesem Diskurs weitgehend aus dem Blick. Es kommt zur Individualisierung gesellschaftlicher Problemlagen und auch das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit verändert sich.
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Was wurde aus der Parteilichkeit Sozialer Arbeit? (Forum 2.4)
Elisabeth Eckhart: Parteilichkeit in der Sozialarbeit - am Beispiel von Frauenprojekten
Frauenprojektarbeit, die in der Frauenbewegung wurzelt, hatte in ihren Anfängen in den 1980er Jahren einen starken Parteilichen und systemkritischen Anspruch. Sie verstand sich als gesellschaftspolitisch, kritisch gegenüber (patriarchalen und arbeitsteiligen) hierarchischen Machtsystemen und eng vernetzt mit wissenschaftlicher Frauenforschung. Die Ökonomisierungstendenzen Sozialer Arbeit und die neoliberalen gesellschaftlichen Umformungen haben sich in den letzten Jahren auch in Frauenprojekte negativ auf Ansprüche der Kooperation, Solidarität und Parteilichkeit ausgewirkt.
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Norbert Wohlfahrt: Was wurde aus der Parteilichkeit sozialer Arbeit?
Es ist an der Zeit wieder öffentlich zu diskutieren, dass die Aufgaben sozialer Arbeit staatlich bestimmt sind (was auch lange im Professionsdiskurs verdrängt wurde und durch die Armut verschärfende Sozialpolitik des aktivierenden Staates offenkundig wird) und damit immer etwas mit den staatlichen Zwecksetzungen zu tun haben, die sich auf die Durchsetzung von Wachstum als dem A und O eines kapitalistischen Produktionsverhältnisses beziehen.
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Was wurde aus der Mindestsicherung? (Forum 2.5)
Die Armutskonferenz: Forderungen und Vorschläge zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung
Forderungen und Vorschläge der Armutskonferenz für die Neuverhandlung der Bund-Länder-Vereinbarung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung
Die Bund-Länder-Vereinbarung wird bis 2016 neu verhandelt. Sie hat wesentliche Punkte der konkreten Ausgestaltung den Landesgesetzgebern überlassen und im Endeffekt vielfach den Vollzugsbehörden. Die Konsequenz sind ein sehr uneinheitlicher Vollzug und Rechtsunsicherheit. Deshalb scheint uns eine Konkretisierung einer Reihe von Punkten in der Bund-Länder-Vereinbarung eine zentrale Aufgabe der bevorstehenden Verhandlungen.
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Was wurde aus der Fürsorge für arme Kinder? (Forum 2.6)
Michael Winkler: Was wurde aus der Fürsorge für arme Kinder?
Die Behauptung lautet: Die Soziale Arbeit, die Sozialpädagogik, die Hilfen zur Erziehung tendieren zunehmend dazu, den Tatbestand der Armut wieder aus dem Blick zu verlieren. Ihre Aufmerksamkeit wird durch andere Themen gebunden, durch den Diskurs über Risiken des Aufwachsens, durch den Diskurs vor allem, der unter dem Stichwort Bildung geführt wird.
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Was wurde aus dem Wohlfahrtsstaat? (Forum 2.7)
Stelzer-Orthofer: Herausforderung: Wohlfahrtsstaat
Die Veränderungen der ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen haben mit dazu beigetragen, dass der seit den Nachkriegsjahren beachtliche Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherung auch in Österreich immer häufiger in Frage gestellt wird. Ferner hat der neoliberale Zeitgeist das solidarische System der Absicherung zentraler Lebensrisiken und Umverteilung mit der programmatischen Formel „mehr privat und weniger Staat“ diskreditiert. Nach und nach wurde der Wohlfahrtsstaat vom Problemlöser zum Problemerzeuger umgedeutet. Wie schon vor mehr als hundert Jahren wird hier mit den unverhältnismäßig hohen sozialen Lasten argumentiert, die der Privatisierung und Individualisierung sozialer Sicherheit Vorschub leisten. In Vergessenheit gerät, dass Sozialstaatlichkeit ein fragiles Konstrukt ist und Art und Umfang sozialer Rechte dem entsprechend immer aufs Neue ausgehandelt werden müssen. Voraussetzung für den Erhalt der Sozialstaatlichkeit ist ein gesellschaftlicher Grundkonsens und das individuelle Vertrauen darauf, dass im Risikofall das Sozialstaatsversprechen eingelöst wird. Auch wenn die Zustimmung zu zentralen sozialstaatlichen Aufgaben, wie Gesundheits- und Altersversorgung, in den letzten drei Jahrzehnten etwas rückläufig ist, hat der österreichische Sozialstaat bei der Bevölkerung noch immer eine breite Unterstützung.
Erschienen in: Amt der oö. Landesregierung, Direktion Kultur/Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik (Hg): Hilfe. Lebensrisken. Lebenschancen. Soziale Sicherung in Österreich. Begleitpublikation zur Landessonderausstellung 2015; Linz S 103-111
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Was wurde aus der Aktivierung? (Forum 2.8)
Philipp Hammer: Soziale Unternehmen im Spannungsfeld aktivierender Arbeitsmarktpolitik
Der österreichische Arbeitsmarkt ist in eine Krise geraten: zwar steigt die Zahl der beschäftigten Personen, aber auch die Arbeitslosigkeit hat ein Rekordniveau erreicht. Was ist der Grund für die hohe Arbeitslosigkeit und welche Maßnahmen müssen dagegen gesetzt werden? In den letzten Jahren haben sich die Antworten der österreichischen Arbeitsmarktpolitik immer stärker am Paradigma der Aktivierung orientiert. In den gemeinnützigen Sozialen Unternehmen wurden z.B. die Verweildauern schrittweise verkürzt und seit kurzem ist selbst Hartz IV für österreichische Politiker kein Tabu mehr. Was ist in Zukunft von der Arbeitsmarktpolitik zu erwarten?
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Wolfgang Schmidt: Der lange Weg der Beteiligung "Sozial Schwach(gehalten)er"
Kommentar eines "Betroffenen": Über Hürden echter Einbindung und über Diskussionen rund um die Aktivierung von Erwerbsarbeitslosen. Der Artikel plädiert gegen Zwangsmaßnahmen, Fremdbestimmung und menschenrechtsverletzende AMS-Bezugsstreichungen. Soziale Unternehmen seien gefordert sich entsprechend zu positionieren und in der Debatte das Grundproblem fehlender Arbeitsplätze in den Vordergrund zu stellen.
Download: Wolfgang Schmidt: Der lange Weg der Beteiligung "Sozial Schwach(gehalten)er"
Was wurde aus dem Privatkonkurs? (Forum 2.9)
Maria Fizka & Peter Niederreiter: 20 Jahre Privatkonkurs
Vor zwanzig Jahren wurde in Österreich der Privatkonkurs eingeführt – endlich war es Privatpersonen möglich, nach einem gerichtlichen Schuldenregulierungsverfahren schuldenfrei neu zu starten und wieder aktiv am Leben, an Gesellschaft und Konsum teilzuhaben. Fast 130.000 Menschen haben seit 1995 einen Antrag auf Privatkonkurs gestellt.
Download: Fitzka; Niederreiter: 20 Jahre Privatkonkurs