114.216 Sozialhilfebezieher/innen: Anstieg Hilfesuchender um 11 Prozent.
31.000 Kinder und Jugendliche betroffen. Anstieg in allen Bundesländern.
(08.08.06) Ende 2004 betrug die Zahl der Hilfesuchenden in der Sozialhilfe 114.216, das ist ein Anstieg zum Vorjahr um 11 Prozent (102.920)*, weist die ARMUTSKONFERENZ auf die bisher unveröffentlichten und aktuellst verfügbaren Daten hin. Der Anstieg ist in allen Bundesländern zu verzeichnen (+10,8 Prozent in Kärnten, +26,3 Prozent in Niederösterreich, +21,6 Prozent in Oberösterreich, +7 Prozent in Salzburg, +19,8 Prozent in Steiermark, +32,6 Prozent in Tirol, +7,7 Prozent in Wien).
"31.176 davon sind Kinder und Jugendliche", betont die Armutskonferenz und weist auf eingeschränkte Zukunftschancen hin. "Rechnet man die SozialhilfebezieherInnen in Alten- und Pflegeheimen dazu (56.233, ein Plus von 6,4 Prozent) käme man insgesamt auf 170.500 Menschen, die ihren Lebensunterhalt bzw. ihre Pflege nicht mehr selbst bestreiten können. Unseren Recherchen nach hat sich die Anzahl Hilfesuchender mit Sozialhilfe in fast jedem Bundesland bis heute weiter erhöht", so das Anti-Armutsnetzwerk.
"Die Gründe seien die zunehmende Zahl an "working poor", gestiegene Lebenshaltungskosten bei Wohnen und Energie, Nichtexistenzsichernde Arbeitslosen- und Notstandshilfeleistungen, nichtausreichende Pensionen,
hohe Arbeitslosigkeit und der Anstieg an psychischen Erkrankungen", analysiert die Armutskonferenz. Dazu kämen die ausgewiesenen Mängel der Sozialhilfe wie beschämende Bedarfsprüfungen, keine Pensionszeiten, mangelnde Krankenversicherung, undurchsichtige Richtsatzhöhen, falsche Anreizstrukturen in der Finanzierung, hohe Nichtinanspruchnahme, mangelnde Rechtssicherheit oder die Armutsfalle "Regress". Die Verbesserungsvorschläge lägen seit geraumer Zeit am Tisch, so die Armutskonferenz.
"Keine halben Lösungen für ganze Probleme", wünscht sich das Anti-Armutsnetzwerk angesichts dieser wachsenden sozialen Notlagen. "Das Beste ist es zu verhindern, dass Menschen in die Sozialhilfe abrutschen".
Acht Gründe für eine Verbesserung der Sozialhilfe
Für die Betroffen verweist Die ARMUTSKONFERENZ auf acht gute Gründe, die Sozialhilfe in eine bürgerfreundliche, transparente Sozialleistung umzuwandeln, die Existenzsicherung garantiert und für alle gilt:
1.) Falsche Anreizstrukturen in der Finanzierung: die finanziell ärmsten Gemeinden haben die höchsten Kosten, weil sie am meisten Arme haben. Ein Finanzausgleich zwischen ärmeren und reicheren Gemeinden ist nicht in allen Bundesländern berücksichtigt, dies wäre für eine gerechtere Finanzierungsbasis notwendig.
2.) Für Notlagen, nicht für strukturelle Arbeitslosigkeit, "working poor", Altersarmut geschaffen: Die Sozialhilfe wurde eigentlich nur als Instrument zur Überbrückung außergewöhnlicher Notlagen konstruiert. Von daher ist sie gar nicht geeignet, regelmäßig wiederkehrende und massenhaft auftretende soziale Risikolagen wie Arbeitslosigkeit, Billigjobs oder Altersarmut aufzufangen. Das wird sie völlig überfordern.
3.) Mangelnde Rechtsicherheit: Es gibt weder klare Rechtsansprüche auf eine bestimmte Leistungsart noch in allen Fällen bzw. in allen Bundesländern grundsätzlich einen Bescheid. Gnadenrecht und Almosen, statt moderner Orientierung an sozialen Grundrechten.
4.) Undurchsichtige Richtsatzhöhen: Wissenschaftlich fundierte Festlegung der Höhe von Richtsätzen, etwa ein Warenkorb, fehlt. Bedürftigkeitsgrenzen basieren auf mehr oder weniger willkürlichen Annahmen. Hilfesuchende sind je nach Bundesland unterschiedlich viel "wert": Differenzen bis 132 Euro.
5.) Armutsfalle Regress: Rückforderung der Sozialhilfe bei Aufnahme von Arbeit ist ein falscher Anreiz und integrationsfeindlich.
6.) Mangelnde Krankenversicherung: Zehntausende bekommen eine Behandlung über "Krankenhilfe", was z.B. eine durch die E-Card ausschließt. Zugang zu medizinischen Leistungen sollte für alle vereinfacht werden; besonders für Einkommensschwache, deren Krankheitsrisiko doppelt so hoch -die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten aber - niedriger ist, wie in der Durchschnittsbevölkerung.
7.) Beschämende Bedarfsprüfungen und hohe Nichtinanspruchnahme: Besonders in den ländlichen Regionen gibt es eine hohe Nichtanspruchnahme aus Scham. Viele suchen zu spät Hilfestellen auf.
8.) Keine Anrechnung von Pensionszeiten
*Statistik Austria