Kinderzuschlag in der Wiener Mindestsicherung vorenthalten

SozialrechtsNetz bekämpft Sozialleistungs-Kürzungen bei Kindern, die von getrennt lebenden Eltern geteilt betreut werden

(2.6.2022) In Wien wird für Kinder, die von getrennt-lebenden Elternteilen halb-halb betreut werden, die Geltendmachung des Kinderzuschlages erschwert. Die zuständige Magistratsabteilung (MA 40) verlangt von halb betreuenden Elternteilen ungerechtfertigte Nachweise und verweigert die Auszahlung des halben Kinderzuschlages. Das SozialrechtsNetz geht dagegen vor.

Ausgangssituation Wien

Herr Wagner lebt in Wien und ist auf die Mindestsicherung angewiesen. Er lebt getrennt von seiner ehemaligen Partnerin, mit der er ein Kind hat. Das Kind lebt seit der Trennung zur Hälfte beim Vater und zur Hälfte bei der Mutter, die Betreuung ist beiden Elternteilen gleichwertig zugeteilt. Die Eltern haben die gemeinsame Obsorge für ihr Kind. Der Hauptwohnsitz des Kindes ist beim Vater.

Nach einem Verlängerungsantrag auf Mindestsicherung wird Herrn Wagner von der Behörde mitgeteilt, dass er nunmehr für sein Kind keinerlei Leistungen mehr aus der Mindestsicherung erhalten soll. Die Behörde begründet das damit, dass die Betreuung des Kindes beiden Eltern gleichwertig zugeteilt ist, und damit von Herrn Wagner keine Unterhaltszahlungen geltend gemacht werden könnten.

Herr Wagner wendet sich, nachdem er eine Beschwerde verfasst hat, an eine Beratungsstelle für Alleinerzieher*innen, die ihn im weiteren Verfahren unterstützt. Schließlich bekommt Herr Wagner von einer Rechtspflegerin am Landesverwaltungsgericht Wien den halben Betrag der Mindestsicherung für sein Kind zugesprochen, da dieses nur zur Hälfte bei ihm wohnt. Die MA 40 ist mit dieser Entscheidung jedoch nicht einverstanden und stellt einen sogenannten Vorlageantrag, sodass nunmehr eine Richterin am Landesverwaltungsgericht den Fall entscheiden muss.

SozialRechtsNetz Einschätzung

Nach der derzeitigen sozialrechtlichen Praxis werden Kinder als Annex ihrer Eltern betrachtet. Daraus resultiert die Suche nach der Bedarfsgemeinschaft, in welcher Kinder leben. Nur wenn Kinder einer Bedarfsgemeinschaft zugehören, kann von den Eltern für diese Mindestsicherung bezogen werden. Gerade bei geteilter Betreuung ist jedoch eine eindeutige Zuordnung zu einem Haushalt schwierig. In der Regel wechselt der Wohnort der Kinder oft, meist in sehr kurzen Intervallen.

Die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft ist im Anlassfall in § 7 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) geregelt und stellt auf den gemeinsamen Haushalt mit einem zur Obsorge berechtigten Eltern- oder Großelternteil ab. Soweit ein Kind, welches mit einem/einer Mindestsicherungs-Bezieher*n in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, von einem anderen Elternteil eine Unterhaltsleistung erhält, die höher als der Kinderzuschlag nach WMG ist, besteht kein Anspruch auf Mindestsicherung. Auf diese Bestimmung beruft sich nunmehr die MA 40.

Durch die gesetzliche Verfolgung von Unterhaltsansprüchen der Kinder von Sozialhilfe/Mindestsicherung -Empfänger*innen wird die Situation von Eltern, die das Kind geteilt betreuen deutlich erschwert. Die Sozialhilfe/Mindestsicherung führt hier ein neues Konfliktpotential in die Beziehung zwischen den Kindseltern und letztlich auch in die Beziehung zwischen Kindern und Eltern ein. Diese Praxis halten wir für nicht zeitgemäß. Soweit Kosten aus der Betreuung von Kindern entstehen, sollten diese jedenfalls, unabhängig von etwaigen Restgeldunterhaltsansprüchen der Eltern, von der Sozialhilfe/Mindestsicherung übernommen werden.

Das SozialRechtsNetz unterstützt Herrn Wagner im Verfahren vor einer Einzelrichterin am Landesverwaltungsgericht Wien durch einen Rechtsanwalt. Schließlich wird Herrn Wagner vom Landesverwaltungsgericht der halbe Kinderzuschlag zugesprochen.

Zusammenfassung:

Die sozialrechtliche Rechtslage spiegelt in vielen Bereichen nicht mehr die Realität von Armutsbetroffenen wieder. Im vorliegenden Fall wird besonders deutlich, wie durch sozialrechtliche Normierungen das Leben von Kindern und Eltern erschwert wird.

Es ist jedenfalls notwendig, dass das Sozialrecht sich hier den modernen Familien- und Lebensverhältnissen anpasst. Darüber hinaus wäre es zeitgemäß den Anspruch auf Sozialhilfe/Mindestsicherung von Kindern diesen selbst, und nicht deren Eltern, zukommen zu lassen.

Jedenfalls sollten die folgenden Grundsätze auch in der Sozialhilfe/Mindestsicherung Niederschlag finden:

  • Bei gleicher bzw. annähernd gleicher Teilung der elterlichen Verantwortung müssen die Eltern in Rechten und Pflichten gesetzlich gleichgestellt sein.
  • Familienbezogene Sozial- und Transferleistungen, müssen beiden Elternteilen gleichermaßen und vollwertig zur Verfügung stehen.

Das SozialRechtsNetz unterstützt Fälle, bei denen Menschen zu Unrecht Sozialleistungen verwehrt werden. Kontaktdaten finden Sie unter:
www.sozialrechtsnetz.at

Das SozialRechtsNetz hat auch ein Fact Sheet verfasst zu Kinderrechte „Kindeswohl mit sozialer Sicherheit stärken