Das SozialRechtsNetz beeinsprucht niedrigere Sozialhilfe-Richtsätze für Menschen in betreuten Wohnformen in OÖ

Land Oberösterreich kürzt bei finanziell bedürftigen Personen

(15.02.2021) In Oberösterreich haben Bewohner*innen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sowie Einrichtungen nach dem Chancengleichheitsgesetz (ChG) vor der Einführung der Sozialhilfe am 1. Jänner 2020 den vollen Richtsatz abzüglich des Unterkunftsaufwands, der vom Land für Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe festgelegt wurde, erhalten. Mit Einführung des neuen Sozialhilfegesetzes im Jahr 2020 wird den Bewohner*innen nunmehr regelmäßig ein niedrigerer Richtsatz zugesprochen.

Dieser niedrigere Satz entsteht, weil das Land Oberösterreich festgelegt hat, dass Menschen, welche mit anderen Personen in betreuten Wohnformen untergebracht sind, weniger Geld erhalten sollen. Begründet wird das damit, dass diese Menschen sich in einer Haushaltsgemeinschaft befänden, was regelmäßig zu einer Kostenersparnis führe. Der Grundbetrag, von welchem die Sozialhilfe berechnet wird, beträgt daher nur mehr 70 % (2020: € 642,15 pro Monat) der zuvor zustehenden Leistung.

Bewohner*innen teilbetreuter Wohngemeinschaften, in Übergangswohnheimen und psychosozialen Wohnheimen betroffen

Nun sollte man sich vor Augen führen, dass Menschen, welche in einer betreuten Wohnform Unterkunft finden, das regelmäßig nicht freiwillig tun. In Anspruch genommen werden diese Einrichtungen von Menschen, die über längere Zeit eine schwierige persönliche Situation hinter sich haben, oftmals mit Obdachlosigkeit oder Gewalt konfrontiert waren. Hier von einer kostensparenden Haushaltsgemeinschaft auszugehen erscheint äußerst unpassend.

In Oberösterreich sind von der Verschlechterung durch die Sozialhilfe beispielsweise Menschen in teilbetreuten Wohngemeinschaften, im Übergangswohnen sowie in psychosozialen Wohnheimen betroffen. Diese Wohnformen werden oftmals von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung in Anspruch genommen. Ein zentrales Ziel dieser Wohnformen ist es, zu einer psychischen Stabilisierung und Reintegration der betreuten Menschen beizutragen. Hier handelt es sich also nicht um zweckdienliche Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaften, sondern um notleidende Menschen.

Beispielhaft einige Lebensgeschichten

Psychosoziales Wohnheim

Herr A wird als Einzelkind in Niederösterreich geboren. Nach einer Lehre als Maler und Anstreicher, und dem Besuch der Unteroffiziersschule, zieht er wegen einer Beziehung nach Oberösterreich. Seit dem Tod der Eltern verschlechtert sich sein psychischer Zustand und er hört immer wieder Stimmen. Es folgten diverse Psychiatrieaufenthalte. Durch die psychische Erkrankung von Herrn A fällt es ihm schwer seinen Alltag gut zu organisieren und seine Ausgaben zu planen. Herrn A wird deshalb ein Erwachsenenvertreter zur Seite gestellt.

Nunmehr hat Herr A keinerlei familiäre Bande mehr und lebt seit Jahren in diversen Wohnepisoden in verschiedenen Sozialeinrichtungen in Oberösterreich. Die Bewohner*innen dieser Einrichtungen stellen Herrn A‘s einzige soziale Kontakte dar. Seine finanziellen Mittel sind bereits äußerst limitiert. Herr A will zumindest im Alter ein menschenwürdiges Leben mit ausreichenden Mitteln führen. Dieser Wunsch wird ihm durch die Sozialkürzungen des Landes Oberösterreich verwehrt. Herrn A blieben im Jahr 2020 monatlich etwa 275 Euro weniger zu Leben. Im Jahr 2021 sind es sogar 285 Euro weniger.

Teilbetreute Wohngemeinschaft

Herr R. ist in Wels geboren und wächst im Innviertel bei seiner Mutter auf. Geschwister hat er keine, zum Vater gibt es keinen Kontakt. Nach Absolvierung der Pflichtschule gibt es im weiteren Verlauf keinerlei Ausbildung oder Lehre. Herr R. pflegt über viele Jahre eine symbiotische Beziehung zu seiner Mutter. Nachdem das Haus der Mutter zwangsversteigert werden muss zieht Herr R. 2003 in eine betreute Einrichtung. Danach erfolgt ein erster Wohnversuch in einer teilbetreuten Wohngemeinschaft. Später zieht Herr R. wieder mit seiner Mutter in eine gemeinsame Wohnung, aus der seine Mutter und er jedoch delogiert werden.

Nach diesem Erlebnis zieht Herr R. erneut in die betreute Wohngemeinschaft, in welcher er seit 2019 lebt. Zur Mutter besteht nach wie vor Kontakt. Herr R. ist sehr bemüht seinen Pflichten in der Wohngemeinschaft. Arzt-/Krankenhaustermine werden von ihm selbständig durchgeführt. Unterstützung bekommt Herr R. in erster Linie dabei, sein Zimmer in Ordnung zu halten. Am liebsten beschäftigt er sich mit seinem Hobby Modellbau. Herr R. ist in der Wohngemeinschaft gesellig, freundlich und kommunikativ.

Da Herr R arbeitet und dieses Einkommen bereits bisher von der Sozialhilfe abgezogen wurde, bleiben ihm monatlich etwa 240 Euro weniger zu leben.

Übergangswohnen

Herr M. ist in Linz im Jahre 1978 geboren, seine Mutter ist Hausmeisterin bei einer Wohnungsgenossenschaft, sein Vater ist bereits verstorben, als Herr M. sechs Jahre alt war. Deshalb hatte er zum Vater nie wirklich Kontakt. In die Wohnung zieht dann ein Mann (Stiefvater), der zwar immer arbeitet, aber den Großteil des Geldes für Alkohol, Drogen und Spielsucht verbraucht, und auch Schulden anhäuft.

Herr M. ist ein Einzelkind. Er absolviert die Volksschule und Hauptschule erfolgreich. Danach bricht er seine Lehre als Maler und Anstreicher ab. Seine Arbeitsbiographie umfasst Lagertätigkeiten, Bühnenbau, Küchenhilfe und Schaustellerei. Die längste durchgehende Tätigkeit dauert etwa 5 Jahre.

Ab dem Alter von ca. 18 Jahren, nach Absolvierung des Bundesheers, beginnen die Probleme – Alkohol, Parties, keine regelmäßigen Arbeitsstellen, d. h. auch kein regelmäßiges Einkommen – und auch Haft. In diese Zeit fällt auch der erste Wohnungsverlust mit Aufbau einer Schuldenlast.

In den nächsten Jahren folgen einige Privatwohnungen, die, aufgrund von zu geringem Einkommen, wieder aufgegeben werden müssen. Ab 2004 gibt es dann immer wieder Kontakt zu Streetworker*innen der Wohnungslosenhilfe und Aufenthalte in der Notschlafstelle.

Im Jahr 2012 ist Herr M. dann erstmalig im Übergangswohnheim, danach knapp 1,5 Jahre in einer teilbetreuten Wohnung, dann zieht er in eine eigene Wohnung. Das funktioniert knapp 5 Jahre. Zum Wohnungsverlust führten mehrere Faktoren: Trennung der Freundin, Arbeitsplatzverlust, Erkrankung der Mutter, übermäßiger Alkoholkonsum.

Seit ca. einem Jahr ist daher Herr M. wieder im Übergangswohnheim. Seine finanzielle Situation wurde durch Corona verschärft, da seine, seit Jahren regelmäßigen, Tätigkeiten bei Märkten nicht mehr möglich sind. Die Notstandshilfe beträgt etwa € 600 Euro und die Sozialhilfe-Aufzahlung bewegt sich um die € 40 Euro. Herrn M bleiben nunmehr durch die Kürzungen des Landes Oberösterreich monatlich etwa 275 Euro bzw. seit dem Jahreswechsel 285 Euro weniger zu Leben.

Wie soll es so möglich sein, dass Herr M. sich wieder ein selbstbestimmtes Leben mit eigener Wohnung aufbauen kann, wenn sein derzeitiges Einkommen gerade dazu reicht, seinen Unterkunftsaufwand und seine Lebenshaltungskosten abzudecken?

Zusammenfassung

Die beschriebenen Fälle zeigen: Das Land Oberösterreich kürzt bei finanziell bedürftigen Personen. Hier geht es nicht darum, Luxus in Haushaltsgemeinschaften zu finanzieren, die Bewohner*innen der Sozialeinrichtungen in Oberösterreich sind auf Unterstützung angewiesen und ihr Leben in einer Haushaltsgemeinschaft ist nicht frei gewählt. Nach Ansicht des SozialRechtsNetz muss hier daher jedenfalls der volle Betrag der Sozialhilfe zur Auszahlung kommen.

Es wurde im oberösterreichischen Sozialhilfegesetz eine Ausnahmebestimmung geschaffen, nach der in besonderen Fällen dennoch der volle Betrag der Mindestsicherung zur Auszahlung kommen soll. Dazu meint der oberösterreichische Landesgesetzgeber in den Gesetzesmaterialien:

Ein besonderes Augenmerk ist in der Praxis dabei auf Einrichtungen zu legen, in denen mehrere Personen leben bzw. untergebracht sind (wie z.B. Frauenhäuser). Sofern in derartigen Einrichtungen abgetrennte Wohneinheiten zur Verfügung stehen oder ein gemeinsames Wirtschaften bereits aufgrund der besonderen persönlichen Situation, in der sich die hilfesuchenden Personen befinden, nicht vorausgesetzt werden kann, wird die Annahme des Vorliegens einer Haushaltsgemeinschaft regelmäßig nicht zutreffend sein und in solchen Fällen der Richtsatz für alleinstehende/alleinerziehende Personen gemäß Abs. 2 Z 1 zur Anwendung kommen” (Hervorhebung durch die Autor*innen)

Das SozialRechtsNetz unterstützt eine strategische Klagsführung, sodass Menschen, die in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe oder nach dem Changengleichheitsgesetz leben, keine Haushaltsgemeinschaft bilden. Hier muss der Alleinstehenden-Richtsatz zur Anwendung kommen.

Das SozialRechtsNetz unterstützt Fälle, bei denen Menschen zu Unrecht Sozialleistungen verwehrt werden.