SozialrechtsNetz bekämpft Kürzung der Sozialhilfe aufgrund der Anrechnung der Wohnbeihilfe bei Menschen mit Behinderung in Niederösterreich
(12.12.2023) In Niederösterreich wird die Wohnbeihilfe in der Sozialhilfe abgezogen, dies auch bei Menschen mit Behinderung und trotz untragbarer Wohnkosten. Der Verfassungsgerichtshof lehnt die Behandlung der Beschwerde trotz Argumentation wegen Verletzung des Gleichheitssatzes ab.
Ausgangslage
Frau Susan Saleh (Name wurde von der Redaktion geändert) leidet an einer unheilbaren Krankheit und einer Behinderung über 80%. Sie ist ständig auf die Pflege und Betreuung durch ihre Eltern und Schwester, sowie durch einen Betreuungsdienst angewiesen. Sie hat einen Behindertenausweis und ist dauerhaft erwerbsunfähig. Alleine bewohnt sie eine Mietwohnung einer Gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft. Ihre Miete beläuft sich auf EUR 360,58 pro Monat, zusätzlich entfallen EUR 87,00 an Heiz- und Stromkosten. Im gleichen Zeitraum bezieht sie eine monatliche Wohnbeihilfe in Höhe von EUR 145,00. Sie hat kein Einkommen und kein verwertbares Vermögen. Das Pflegegeld der Stufe 4 sowie die erhöhte Familienbeihilfe werden zur Gänze für ihre Betreuung und Therapie ausgegeben. Sie ist von einer untragbaren sozialen Notlage betroffen und stellt im November 2019 einen Antrag auf Zuerkennung von Leistungen der (damals) bedarfsorientierten Mindestsicherung.
Die Deckung des Wohnbedarfs wird als Sachleistung bewilligt. Dies bedeutet, dass die Behörde den zuerkannten Wohnbetrag direkt an den Vermieter auszahlt und Frau Saleh dann jeweils den noch ausständigen Betrag ebenso an den Vermieter zahlen muss. Die Folge ist Unübersichtlichkeit der Mieteingänge und ausstehende Mietbeträge, da die Überweisungen in einzelnen Beträgen an den Vermieter zu unterschiedlichen Stichtagen erfolgt. Es entsteht ein erhöhter Verwaltungsaufwand beim Vermieter, der Betroffenen und auch bei der Behörde.
Zudem kann Frau Saleh ihre Gesamtwohnkosten mit den zugesprochenen Leistungen nicht decken. Das Leben wird für sie damit unzumutbar. Frau Saleh entscheidet sich rechtlich dagegen vorzugehen. In einem ersten Verfahrensgang infolge einer Amtsrevision der NÖ Landesregierung werden ihr Geldleistungen zur Unterstützung des Lebensunterhaltes samt Behindertenzuschlag für das Jahr 2020 in Höhe von EUR 401,69 zugesprochen. Die unzureichenden Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs für den Zeitraum Jänner bis Juni 2020 wurden durch die Unterstützung des SozialrechtsNetz mittels außerordentlicher Revision bekämpft.
Hier die vorgenommene Berechnung, der dann ergangenen Entscheidung des LVwG NÖ
Die vorgenommene Berechnungsweise in der Entscheidung des LVwG erfolgt unter Zugrundelegung der neuen Sozialhilfegesetze „auf Grund der Umsetzung des Erkenntnisses des VwGH vom 16.03.2022, Ra 2020/10/0111“ (Erk S 19/23). Dabei wird Frau Saleh einerseits der gesamte gewährte Wohnzuschuss in Höhe von EUR 145,00 auf den Richtsatz Wohnen in Höhe von EUR 366,94 (=40 % des ermittelten Gesamtrichtsatzes für Leben samt Behindertenzuschlag und Wohnen in Höhe von EUR 937,47) angerechnet und ein angepasster Richtsatz (EUR 366,94 – EUR 145,00) von EUR 221,94 ermittelt und andererseits der (erforderlichenfalls einzuklagende) Unterhaltsanspruch in Höhe von EUR 411,18 anteilsmäßig auf die Richtsätze Wohnen und Leben aufgeteilt und dann ebenfalls auf den angepassten Wohnbedarf-Richtsatz angerechnet. Die für den Abzug notwendigen Prozentsätze errechnet das Gericht durch Heranziehung der sich insgesamt ergebenden Sozialhilfe in Höhe von EUR 937,47, wobei die Richtsätze in Prozentsätzen dem Gesamtbetrag der Sozialhilfe gegenübergestellt werden (EUR 221,94 von EUR 937,47 ergeben 23,67%). Daher werden 23,67% des Unterhaltsanspruches in Höhe von EUR 411,18, also EUR 97,34, vom angepassten Richtsatz Wohnen zusätzlich noch abgezogen.
Mit dieser aufwendigen Berechnungsmethode ergibt sich die unangemessen geringe, aber für Frau Saleh dringend benötigte Leistung für den Wohnbedarf in Höhe von nur EUR 124,60 (EUR 221,94 – EUR 97,34). Die Existenzsicherung ist damit für Frau Saleh aber keinesfalls gewährleistet und sie schlittert immer tiefer in die Armut.
SozialrechtsNetz unterstützt bei Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof
Das SozialrechtsNetz unterstützt Frau Saleh bei dieser untragbaren Rechtslage und bringt eine Beschwerde wegen Verletzung des Gleichheitssatzes vor dem VfGH ein. Folgende Argumente wurden vorgebracht:
Es ist grob unsachlich, wenn die gesamt Wohnbeihilfe/Wohnzuschuss die Frau Saleh auf der Grundlage des NÖ Wohnungsförderungsgesetzes 2005 gewährt wird, in der Sozialhilfe aufgrund des misslungenen Gesetzes zur Gänze wieder abgezogen wird, obwohl die Leistungen nicht bedarfsdeckend sind.
Sachlich kann nämlich nur eine Regelung sein, die gleichartige Leistungen anrechnet und dies auch nur dann, wenn diese Leistungen den Bedarf überschreiten. Mit dem erwähnten Wohnzuschuss soll nach dem Gesetz weder der Hausrat, noch die Heizung oder der Strom oder sonstige Betriebskosten gefördert werden, sondern alleine ein Mietzinsanteil (Annuitätenleistung) im Sinne einer finanziellen Unterstützung für den Wohnbau.
Der Wohnbedarf nach § 2 Abs 2 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz umfasst hingegen den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Hausrat, Heizung und Strom, sonstige allgemeine Betriebskosten und Abgaben. Die Leistungen unterscheiden sich hier daher zu einem großen Teil und sind keinesfalls gleichartig.
Zudem ist in NÖ die Wohnkostenpauschale des § 5 Abs 5 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz nicht umgesetzt, eine Hilfe durch Zusatzleistung für Miet- und Energieleistungen sind daher ebenfalls ausgeschlossen.
Es entsteht die paradoxe Situation, dass aufgrund der Anrechnung der gesamten Wohnbeihilfe/Wohnzuschuss auf die Sozialhilfe der nach dem Gesetz definierte Richtsatz von 40 % für den Wohnbedarf gekürzt wird und daher wie im Fall ersichtlich nur mehr 24,2% beträgt (221,94 für das Jahr 2020), obwohl der wiederkehrende Aufwand für die Wohnsituation bei weitem nicht gedeckt ist, und zudem die Sozialhilfe den Prozentsatz für Leben im Sinne des Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sowie das NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz auf 60 % gekürzt hat und der Aufwand für Heizung und Strom ua. im Unterschied zur ehemaligen Mindestsicherung aus dem Bedarfsbereich Leben auf den Wohnbedarf übertragen wurde.
Frau Saleh kann ihre Gesamtwohnkosten von EUR 447,58 (EUR 360,58 + EUR 87,00) mit EUR 221,94 aus Sozialhilfe und Unterhalt plus EUR 145,00 an Wohnzuschuss, keinesfalls decken, schon gar nicht andere wohnbezogene Kosten für Haushaltsversicherung, Hausrat ua., bzw. muss sie diese aus den Leistungen für den Lebensunterhalt begleichen. Das Leben wird für sie damit unzumutbar.
Die Sozialhilfe verfehlt hier ihren Zweck zur Gänze. Es ist keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar, dass Sozialhilfeleistungen selbsterhaltungsunfähigen Menschen mit Behinderung so weit gekürzt werden, dass der für die angemessene Wohnsituation erforderliche regelmäßig wiederkehrende Aufwand nicht mehr gedeckt ist. Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG erlaubt die Bevorzugung von Menschen mit Behinderung und gebietet sie sogar, um dem Diskriminierungsverbot entgegenzutreten. Die geschilderte Rechtslage stellt sich demnach als gleichheitswidrig dar und verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Verfassungsgerichtshof lehnt Beschwerde ab
Der VfGH will sich jedoch mit dieser Thematik nicht auseinandersetzen und erachtet die Beschwerde sofort als erfolglos, weshalb er auf die Argumentation gar nicht eingeht und beschließt von der Behandlung der Beschwerde abzusehen.
Der Fall zeigt neuerlich in einer drastischen Weise, das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sowie das dazu ergangene NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz gehören dringend geändert!
Das SozialrechtsNetz der Armutskonferenz setzt sich für die Stärkung und gerichtliche Durchsetzung sozialer Menschenrechte in Österreich ein.