SozialRechtsNetz bekämpft Kürzungen der Sozialhilfe für Alleinerziehende

Alleinerzieherin von drei Kindern in Niederösterreich verliert Zuschläge aus der Sozialhilfe da ein Sohn volljährig ist

(26.8.2021) Frau H lebt in ihrer Wohnung mit ihren drei Kindern. Die Kinder sind acht, dreizehn und vierundzwanzig Jahre alt. Frau H erzieht die Kinder alleine und außer der vierköpfigen Familie lebt niemand im gemeinsamen Haushalt. Frau H ist arbeitslos und bezieht Sozialhilfe. Sowohl Frau H als auch der älteste Sohn sind auf Arbeitssuche, es ist ihnen jedoch, nicht zuletzt auf Grund der durch die COVID-19 Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise derzeit nicht möglich einen Job zu suchen. Außerdem hat Frau H für die drei Kinder Sorge zu tragen.

Die zuständige Bezirkshauptmannschaft (BH) erachtet Frau H nicht als alleinerziehend, da der älteste Sohn volljährig sei. Dadurch erhält Frau H selbst einen niedrigeren Richtsatz an Sozialhilfe und auch keinerlei Zuschläge für ihre minderjährigen Kinder. Die zuständige gewährt Frau H Sozialhilfe in Höhe von EUR 385,29 monatlich und eine Sachleistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs in Höhe von EUR 256,86.

Das älteste Kind bezieht eine Leistung vom AMS in Höhe von EUR 26,39 täglich. Deshalb spricht ihm die zuständige BH keine Sozialhilfe zu. Für das zweitälteste Kind erhält die Mutter eine Unterhaltszahlung in Höhe von EUR 100 pro Monat. Diese wird von der Sozialhilfe abgezogen sodass eine Leistung von EUR 83,47 pro Monat verbleibt. Für das jüngste Kind erhält die Mutter Unterhaltszahlungen in Höhe von EUR 357 pro Monat. Für dieses jüngste Kind erhält die Mutter daher keine Sozialhilfe.

Insgesamt erhält die Mutter sohin EUR 468,76 / Monat an Sozialhilfe sowie EUR 256,86 als Sachleistung zur Deckung der Wohnungskosten um alleine eine vierköpfige Familie zu versorgen. Alleine an kosten für die Wohnung fallen EUR 690 an, wozu noch monatlich EUR 45 für Strom sowie EUR 110 für Heizung kommen.

Frau H erhebt mit Hilfe der Arbeiterkammer Niederösterreich Beschwerde gegen diese Entscheidung, da sie mit diesem Geld ihre Lebenskosten nicht finanzieren kann. Das Landesverwaltungsgericht hält den Bescheid der BH vollinhaltlich aufrecht und ändert ihn nicht. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ist für die Interpretation des Begriffes „alleinerziehend“ im Sinne des Niederösterreichischen Sozialhilfeausführungsgesetzes „nicht bloß auf die Erziehungszuständigkeit“ abzustellen. Vielmehr gehe es dem niederösterreichischen Landesgesetzgeber um „eventuelle Synergieeffekte durch Haushaltsgemeinschaften. Da im Haushalt der Erstbeschwerdeführerin auch ihr volljähriger Sohn wohnt, wurde von der Erstbehörde zulässigerweise für Frau H der Richtsatz für eine in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Person herangezogen.“

Rechtliche Einschätzung

Das Niederösterreichische Sozialhilfe-Ausführungsgesetz enthält keinerlei Definition des Begriffes „alleinerziehend“. An die Frage, ob jemand alleinerziehend ist, sind jedoch weitreichende Konsequenzen geknüpft. Alleinerziehenden steht jedenfalls der volle Richtsatz in der Sozialhilfe zu. Darüber hinaus steht ihnen für die Kinder, welche sie alleine erziehen müssen, ein Zuschlag zu.

In Niederösterreich sind offenbar der Landtag und auch das Landesverwaltungsgericht der Ansicht, dass ein volljähriges Kind dazu führt, dass eine erziehende Person nicht mehr alleinerziehend sein kann. Diese Ansicht steht im Widerspruch zu den Begleitmaterialien des, sonst freilich kaum großzügigen, Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz definiert als „alleinerziehende Personen“ als jene, „die mit zumindest einer anderen Person in Haushaltsgemeinschaft leben, gegenüber der sie zur Obsorge bzw. zur Erziehung berechtigt sind oder waren“ (ErläutRV 514 BlgNR 26.GP Seite 6).

Darüber hinaus führt diese Auslegung des LVwG NÖ dazu, dass Alleinerziehende mit einem Kind gegenüber Familien mit mehreren Kindern bevorzugt werden. Wenn es einen Altersunterschied zwischen dem ältesten und den jüngeren Kindern gibt, wie im vorliegenden Fall, fällt dennoch mit Erreichen der Volljährigkeit des ältesten Kindes abrupt ein erheblicher Teil der Sozialhilfe sowohl für die alleinerziehende Person selbst, als auch deren Kindern weg. Diese Benachteiligung erachten das SozialRechtsNetz als Gleichheitswidrig und nicht mit dem Bundesverfassungsgesetz für Kinderrechte vereinbar.

Zusammenfassung

Der Sachverhalt von Frau H führt eindringlich vor Auge, dass die Sozialhilfe in Österreich schlecht ausgestaltet ist und eine menschenwürdige Existenz nicht gewährleisten kann. Die Annahme der auslegenden Behörden und Gerichte, wonach volljährige Kinder die Familie entlasten erinnern an Armutsromane der aufkommenden Industrialisierung, sie sind mit einem modernen Wohlfahrtsstaat und Familienbild nicht vereinbar. Die benachteiligende und diskriminierende Regelung für Alleinerziehende in Niederösterreich ist nur der erste Stein dieses baufälligen Sozialhilfe-Hauses, das reif zum Abriss ist. Stattdessen fordert das SozialRechtsNetz eine gute Mindestsicherung für alle, die ein gutes menschenwürdiges Leben ermöglicht.

Das SozialRechtsNetz unterstützt eine strategische Klagsführung, sodass bei allein Alleinerziehenden der volle Richtsatz für die Alleinerziehenden selbst sowie die Zuschläge für deren Kindern zur Anwendung kommen. Wir sind der Ansicht, dass Frau H für ihre wertvolle Tätigkeit mehr verdient hat, als eine schlechte Sozialhilfe, die nicht einmal ihre Lebenskosten deckt!

Das SozialRechtsNetz unterstützt Fälle, bei denen Menschen zu Unrecht Sozialleistungen verwehrt werden.