SozialRechtsNetz bekämpft Streichung der Sozialhilfe bei Menschen mit Beeinträchtigung in Niederösterreich

(14.12.2022) Armutsbetroffenen Menschen mit Beeinträchtigung, die nicht selbsterhaltungsfähig sind, wird in Niederösterreich die Sozialhilfe verwehrt, wenn diese bei ihren Eltern leben. Das geschieht auch dann, wenn ein Elternteil Alleinerhalter ist und selbst nur über sehr niedrige Einkünfte verfügt und dem Kind somit kaum Unterstützung zukommen lassen kann. Das SozialRechtsNetz unterstützt das gerichtliche Vorgehen.

Ausgangslage

Eine Frau lebt mit ihrer volljährigen Tochter, die eine Behinderung in Form einer Intelligenzminderung hat, in Haushaltsgemeinschaft im Eigenheim. Die Tochter besucht untertags eine Behinderteneinrichtung des Landes NÖ (Werkstätte) und ist nicht arbeitsfähig und auch nicht selbsterhaltungsfähig.

Die Tochter Annemarie Schmidt (Name wurde von der Redaktion geändert) stellt im Juli 2021 bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhaltes und auf Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs nach dem NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (im Folgenden: NÖ SAG). Die Behörde rechnet bei der Beurteilung des Anspruches auf Sozialhilfe der Behindertenpassbesitzerin einen Unterhaltsanspruch vom Vater in Höhe von monatlich € 266,-- an (dieser Unterhalt wird allerdings unregelmäßig überwiesen). Darüber hinaus rechnet die Behörde Sachleistungen in Höhe von monatlich € 38,06 aufgrund eines von der Tagesstätte bereitgestellten Mittagessens an.

Danach kommt noch das „überschießende“ Einkommen der Mutter als Einkommen der Tochter zur Anrechnung. Die Mutter von Frau Schmidt arbeitet als Verkäuferin und verdient in ihrer Tätigkeit EUR 945,44 / Monat. Faktisch wird Annemarie Schmidt durch die Einkommensanrechnung der Mutter die Sozialhilfe nochmals um EUR 413,74 gekürzt. Der hohe Betrag entsteht dadurch, dass Frau Schmidts Mutter in Niederösterreich nicht als alleinerziehend gilt, obwohl sie sich alleine um die Tochter kümmert und bei dieser wohnt. In Niederösterreich gelten nämlich nur die Eltern von minderjährigen Kindern als alleinerziehend. Nach all diesen Abzügen verbleibt für Frau Schmidt keine Sozialhilfe in Niederösterreich.

Tatsächlich sind die Wohnkosten (unter anderem Gas, Strom, Kanal, Wasser, Müll, Haushaltsversicherung) und die Lebenserhaltungskosten viel höher als fiktiv von der Behörde errechnet. Bei der sachlich richtigen Qualifizierung der Mutter als Alleinerhalterin, wäre der Richtsatz und damit auch der fiktive Bedarf für diese höher, sodass ein geringer Einkommensüberschuss das Resultat gewesen wäre. Frau Schmidt hat zudem unter anderem einen Kostenbeitrag an die Behörde für die Werkstätte von zumindest € 70,93 zu tragen und für die Einrichtung selber schlagen in der Regel € 110,- / Monat zu Buche. Beide Ausgaben werden von der Behörde zur Gänze unberücksichtigt gelassen. Die Berechnungen der Behörde und die Realität klaffen damit vollkommen auseinander. Es kommt zur Verschlechterung der Lebensumstände der Tochter mit Behinderung und der alleinerziehenden Mutter.

Selbst mit regelmäßiger finanzieller Unterstützung durch den erweiterten Familienkreis wird es auf lange Sicht nicht möglich sein, dass die Familie Schmidt sich weiterhin ein Leben in ihrem Haus und die Tochter sich den Besuch der geschützten Werkstatt leisten kann.

Einschätzung durch SozialRechtsNetz

Das NÖ-SAG unterscheidet in seinem § 14 Abs 1 Z 1 „eine alleinstehende“ und eine „alleinerziehende Person“. Die Definition, wer als alleinerziehend im Sinne dieses Gesetzes anzusehen ist, bleibt dem Gesetz aber fern und es führt zu Rechtsunsicherheit. Würde die Mutter von Frau Schmidt als „alleinerziehende Person“ gewertet, erhielte sie einen Zuschlag zum Richtsatz angerechnet. Die Gesetze behandeln daher einerseits die Tochter mit Behinderung gleich einer Minderjährigen, weil sie Unterhaltsansprüche gegenüber der Mutter hat und sich diese anrechnen lassen muss, die Mutter hingegen sehen die Gerichte trotz ihrer Unterhaltspflicht nicht als Alleinerzieherin an. Sie wird trotz der Tatsache, dass sie ihre Tochter alleine erhält, nicht als Alleinerhalterin gewertet, woraus die Verweigerung der Sozialhilfe resultiert.

Das SozialRechtsNetz hat die Antragstellerin in diesem Fall nach bester Möglichkeit unterstützt. Nichtsdestotrotz hat das LvWG NÖ die Entscheidung der Behörde mit der Argumentation bestätigt, es stehe dem Landesgesetzgeber frei eine Definition für eine „alleinerziehende“ Person zu normieren. Damit lässt das LvWG die verschlechterte Situation der armutsgefährdeten Frauen unberücksichtigt. Eine ordentliche Revision an den VwGH erachtet das Gericht zudem als unzulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliege, weshalb eine Überprüfung durch das Höchstgericht letztlich unterbleibt.

Mittlerweile hat der VwGH ebenfalls erkannt, dass es dem Landesgesetzgeber tatsächlich frei steht, ob er eine Definition des Begriffes „alleinerziehende Person“ vornimmt und dass aufgrund der Gesetzesmaterialien zum NÖ SAG aus einem Fehlen im Gesetzestext nicht geschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber Abstand von einem Verständnis einer "alleinerziehenden Person" nehmen wollte, die eine solche ist wenn diese "[...] NUR mit minderjährigen UND ihr gegenüber unterhaltsberechtigten Personen in einer Haushaltsgemeinschaft lebt".

Zusammenfassung

Es ist allgemein bekannt, dass unterhaltsberechtigte Volljährige mit einer Behinderung Platz und Aufwendungen für das Wohnen benötigen sowie Ausgaben für die Bestreitung eines Alltages haben. Der Wohnraum muss bezahlt werden, aber selbst im Fall eines Eigenheims der Eltern müssen alle damit zusammenhängenden Ausgaben beglichen werden. Die Kosten müssen berücksichtigt werden und es gibt keinerlei Unterstützung durch die Sozialhilfe. In derartigen Situationen einer jungen Frau mit Behinderungen, die in finanziell schwachen Haushalten von Alleinerhalterinnen leben, zu unterstellen, sie hätten keinerlei Wohnkosten, und ihnen deshalb die Unterstützung zu verwehren, ist zynisch.

Mit 01.12.2022 tritt eine novellierte Fassung des NÖ SAG in Kraft. Eine Verbesserung für armutsbetroffene Menschen durch Definition oder Klarstellung wer als „alleinerziehende Person“ zu verstehen ist, enthält das Gesetz jedoch weiterhin nicht. Eine andere Möglichkeit wäre, Ausnahmebestimmungen für erwachsene Menschen mit Behinderungen aufzunehmen, die aufgrund mangelnder Selbsterhaltung noch im Elternhaus leben. Der NÖ Landesgesetzgeber hat von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht.

Der Fall zeigt wie bereits einige andere zuvor berichteten: Die Niederösterreichische Sozialhilfe verfehlt ihren Zweck, nämlich die Existenzsicherung von Menschen in finanziell prekären Lebenslagen. Die Sozialhilfe leistet zu wenig Unterstützung, um die Situation von Armutsbetroffenen nachhaltig zu verbessern. Die Regelungen, die zum Anlassfall führen, sind diskriminierend für Menschen mit Behinderungen und Alleinerhalterinnen. Auf Basis des NÖ SAG werden Armutsbetroffene schikaniert und sie werden in schwere finanzielle und persönliche Krisen gestürzt.

Das SozialrechtsNetz unterstützt Fälle, bei denen Menschen zu Unrecht Sozialleistungen verwehrt werden. Kontaktdaten finden Sie unter:
www.sozialrechtsnetz.at