Arme Schule, reiche Schule? Mehr Chancen für Kinder an sozial benachteiligten Schulstandorten
Benachteiligte Schulstandorte besonders gut ausstatten, damit sie keine Schüler zurücklassen & für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben
(18.03.2016) "Schulen in sozial benachteiligten Bezirken besonders gut auszustatten, damit sie keine Schüler zurücklassen und für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben", schlägt die Armutskonferenz ein Modell "kompensatorischer Ressourcenzuteilung" vor, um Kindern "Zukunft trotz Herkunft" zu ermöglichen. Mit dieser schulpolitischen Intervention kann zwar die Spaltung in "gute" und "schlechte" Wohngegenden nicht aufgehoben werden - die liegt ja in der Einkommens- und Wohnpolitik - aber es kann in den Schulen einiges verbessert werden", so Martin Schenk, Sozialexperte und Mitbegründer der Armutskonferenz. Die Niederlande, Zürich, Hamburg und auch Kanada haben mit einer kompensatorischen Mittelzuteilung gute Erfahrung gemacht. Mit einem solchen Sozialfaktor, der unter anderem Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern umfasst, würde eine Schule um einen bestimmten Prozentsatz x mehr an Ressourcen bekommen: Bildung X-Plus. In Toronto heißt das „Learning Opportunity Index (LOI)“. Wozu er dient, argumentieren die Kanadier so: „Die Schulen mit dem höchsten Wert haben die stärksten Herausforderungen zu bewältigen und brauchen daher die meiste Unterstützung“. Die Maßzahlen beziehen sich in Toronto auf die unmittelbare Wohnumgebung der Schüler und der Schule selbst. Die Modellschulen sind in 8 Cluster gruppiert mit verantwortlichen Lehrern (lead teachers), Weiterbildung (learning classroom teacher) und Sozialarbeitern (community support worker). Der LOI wird alle zwei Jahre berechnet. In Österreich wird man dabei besonderes Augenmerk auf die Unterrichtsqualität und Raumstruktur legen müssen. „Wie wir aus dem hiesigen Schulsystem wissen, bedeutet mehr Geld nicht automatisch, dass die Schule qualitativ besser wird“, gibt Schenk zu bedenken. Deswegen muss jeder Standort ein Konzept entwickeln, wie er die Ressourcen am sinnvollsten einsetzt. Und nach einer Zeit wird überprüft ob die Maßnahmen helfen. Die Vorteile sind: Schulische Autonomie und Demokratie wird gefördert und Anreize für engagierte Pädagogen gesetzt. Das zahlt sich aus für die Kinder: Bessere Leistungen, mehr Chancen und attraktivere Schulen.
11% der Volksschulen, 17% der Hauptschulen, aber nur 2% der AHS hohe soziale Benachteiligung
Es ist nicht ein Faktor, der zu schlechten Schulleistungen führt. Es ist auch nicht ein Faktor, der Kinder aus ökonomisch benachteiligten Familien geringe Aufstiegschancen beschert. Es ist die Kombination aus einem Bündel von Kriterien: Eine überbelegte Wohnung fällt zusammen mit einer Halbtagsschulordnung. Wenig Einkommen trifft auf ein einkalkuliertes Nachhilfesystem. Keine Unterstützung zu Hause kommt mit eigener Erschöpfung und Unkonzentriertheit zusammen. Und schlecht ausgestatteten Schulen vereinen sich mit einem sehr selektiven Schulsystem. 11% der Volksschulen, 17% der Hauptschulen, aber nur 2% der AHS weisen eine hohe soziale Benachteiligung auf. Wenn geschlossene "Ausländerklassen" zum Deutschlernen errichtet werden, wenn mehrsprachige Begleitlehrer an allen Ecken fehlen, wenn leistungshomogene Restklassen entstehen, wenn die Klassen überfüllt sind, wenn die Raumarchitektur flexible Lernformen nicht zulässt -dann hilft das niemanden. Trotz der im europäischen Vergleich geringen Kinderarmut schneidet Österreich in der sozialen Mobilität "nach oben" nur durchschnittlich ab. Schulsysteme in anderen Ländern schaffen das besser. Die soziale Herkunft entscheidet überaus stark den weiteren Lebensweg.
Weitere Informationen: Zukunft trotz(t) Herkunft