6. Österreichische Armutskonferenz (19./20.10.05): Mythos "WER WILL KANN GEWINNEN"
Soziale Herkunft bestimmt Bildungsweg. Aus armen Kindern werden arme Eltern, aus reichen Kindern reiche Eltern.
(14.10.05). Aktuelle Ergebnisse der Armutsforschung entlarven die Rede von gleichen Aufstiegschancen für alle, "die nur wollen", als Mythos, so Sozialexperte Schenk. Die soziale Herkunft entscheidet über den weiteren Lebensweg. So bestimme beispielsweise das Haushaltseinkommen maßgeblich den Bildungsweg. Kinder aus Haushalten bis 1.000 Euro Einkommen würden zu 35,9 Prozent eine AHS-Oberstufe oder BHS besuchen, bei Einkommen über 2.500 Euro dagegen zu 68,3 Prozent, so Schenk. Weiterer ausschlaggebender Faktor: die berufliche Position der Eltern. 24,8 Prozent der Kindern von Eltern, die Hilfstätigkeiten verrichten, besuchten eine AHS-Oberstufe oder BHS, bei Eltern mit hochqualifizierten Tätigkeiten seien es dagegen 74,3 Prozent. Aus reichen Kindern würden reiche Eltern, aus armen Kindern arme Eltern. Gleichzeitig hätten Personen mit Pflichtschulabschluss aber ein 20 -prozentiges Armutsgefährdungsrisiko, mit Matura oder mittlerer Schule liege es mit 10 Prozent nur halb so hoch. Personen mit Pflichtschulabschluss würden eine Beschäftigungsquote von nur 50 Prozent aufweisen, mit Uni-Abschluss dagegen von 83 Prozent. (Die Studien beziehen sich auf Daten des Europäischen Haushaltspanels und der SILC-Erhebung).
Zukunft trotz(t) Herkunft
"Zukunft trotz Herkunft" für Jugendliche aus benachteiligten Familien, fordert die Armutskonferenz als Reformprinzip stärker in die Bildungsdebatte ein. Damit Zukunft nicht von der Herkunft abhängt, braucht es einen Bildungsweg, der nicht sozial selektiert, sondern individuell fördert, es braucht eine gut ausgebaute Frühförderung vor der Schule, Hauptschulabschlusskurse ohne Zugangsbarrieren und es braucht den politischen Willen, wachsender sozialer Polarisierung entgegenzutreten. In den Ländern, in denen die Aufstiegschancen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien besser gewährleistet werden, wird vor allem die starke individuelle Förderung von Kindern in relativ heterogenen Gruppen erfolgreich praktiziert. Davon profitieren schwächere SchülerInnen genauso wie überdurchschnittlich begabte.
Spitzenleistungen und geringer Abstand zu den Schwächsten
Die Sozialwissenschafterin Barbara Herzog-Punzenberger verwies auf eine aktuelle OECD-Publikation, die sich auf Auswertungen von PISA- Daten stützt. Demnach wirkt sich in den Spitzenländern Finnland, Kanada und Australien der sozio-ökonomische Hintergrund der Schüler auf die erbrachten Leistungen bei weitem geringer aus als in anderen Ländern. Gemeinsam sei diesen drei Ländern in unterschiedlichen Kontinenten, dass sie eine bis zum 16. Lebensjahr dauernde gemeinsame Pflichtschule haben, in der die Berufsposition und der Bildungsabschluss der Eltern viel weniger Bedeutung für die erbrachten Leistungen haben als hier zu Lande, erklärte Herzog-Punzenberger, an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätige Sozialwissenschaftlerin. Der Verzicht auf frühe Bildungsselektion mit 10 Jahren sei der belegbar wichtigste Faktor für die Aufstiegschancen sozial benachteiligter Kinder. Je weniger selektiert werde, desto eher hingen die Leistungen vom Talent der Kinder und nicht vom Familienstatus ab - und umgekehrt. Die Förderung von Kindern aus armen Haushalten würde "ganz und gar nicht auf Kosten der Entwicklung von Talenten und Fähigkeiten besonders begabter Kinder" gehe, widerlegte die Sozialwissenschaftlerin ein gängiges Vorurteil. Schule kann ihre Besten für Spitzenleitungen qualifizieren, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass der Abstand der schwächsten SchülerInnen zu den besten gering ist.
Armut kein Naturgesetz
"Ökonomische Mythen" stehen im Mittelpunkt der 6. Armutskonferenz zum Thema "Armut ist vermeidbar", die am 19. Oktober 400 Interessierte aus sozialen Einrichtungen, NGOs und aus der Wissenschaft ins Bildungshaus St. Virgil nach Salzburg führen wird. Ein solcher "Mythos" sei zum Beispiel die Behauptung, die Errungenschaften des Sozialstaates könne man sich in dieser Form nicht mehr leisten, sagte Michaela Moser, die Österreich im Europäischen Anti-Armutsnetzwerk (EAPN) vertritt. Die Theologin und Sozialethikerin kritisierte, dass die Politik Armut zunehmend "in Kauf nimmt". Dabei sei Armut "kein Naturgesetz", bei entsprechendem politischem Willen wäre sie vermeidbar, betonte Moser.
Je sozial gespaltener Gesellschaft, desto weniger Chancen
Wie sehr in Österreich die soziale Herkunft über den weiteren Lebensweg entscheidet, belegte Martin Schenk, der Sozialexperte der Diakonie mit jüngsten Ergebnissen aus der Armutsforschung: Je weniger die Eltern verdienen, desto eher wechseln die Kinder nach der Volksschule in die Hauptschule und nicht in die AHS. Die Möglichkeit, aus der Armut auszubrechen, steht laut Schenk in enger Wechselwirkung mit der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft insgesamt. In Österreich würden Soziologen von einem "Fahrstuhleffekt" sprechen: Auch wenn das Wohlstands-Niveau insgesamt steige, bleibe der Abstand zwischen den "Stockwerken", den sozialen Schichten, doch sehr stabil. Es gebe hier zu wenig "Durchlässigkeit", kritisierte Schenk.