Mindestsicherung - Keine halben Lösungen für ganze Probleme
Besser präventiv verhindern, dass Menschen in Mindestsicherung fallen
(10.05.2012) "Angesichts der wachsenden sozialen Notlagen kann es keine halben Lösungen für ganze Probleme geben.", zieht die Armutskonferenz Schlüsse aus der ersten Evaluierungsstudie zur Mindestsicherung, die heute präsentiert wurde. "Es kann keine Mindestsicherung geben, die diesen Namen verdient, ohne dass die tatsächlichen Wohnkosten für Armutsbetroffene abgedeckt werden, ohne die Sicherung österreichweiter Standards bei existentiellen Nöten in besonderen Lebenslagen (kaputter Boiler, Geburt eines Kindes, Schulsachen etc), ohne eine bürgerfreundliche Reform des Vollzugs in den Ländern. Die Mindestsicherung ist nur dann "bedarfsorientiert" wenn es passende Angebote für die jeweilige Notlage der Betroffenen gibt. Wenn "workless poor" nicht in "working poor" verwandelt werden mit prekären, nachhaltig dequalifizierenden Jobs. Wenn die vielfältigen Problemlagen wie Wohnen, Kinderbetreuung, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Schuldenregulierung bearbeitet werden. Wenn der ganze Mensch in den Blick kommt."
Besser: Präventiv verhindern, dass Menschen in Mindestsicherung fallen
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung liegt uns am Herzen. Weil sie das letzte Netz im Sozialstaat ist, nach der nichts mehr kommt. Doch dieses Netz trägt nicht nur schlecht, weil es schlecht geknüpftist. Es trägt auch schlecht, weil viel zu viel darauf abgeladen wird. Die Mindestsicherung kann nicht Staubsauger für alle strukturellen Probleme sein, die in der Mitte der Gesellschaft angelegt sind: Arbeitslosigkeit, Pflegenotstand, prekäre Jobs, mangelnde soziale Aufstiegschancen im Bildungssystem. Die Mindestsicherung sollte wie schon die alte Sozialhilfe nur jene auffangen müssen, die spärlich durch die eng geknüpften Maschen der vorgelagerten Netze rutschen. Die vorgelagerten Netze aber, allen voran die Sozialversicherung, haben Risse bekommen. Risse, die immer breiter werden. Erwerbslose, working poor, AlleinerzieherInnen: wo der Sozialstaat mit den Veränderungen in Ökonomie und Gesellschaft nicht Schritt hält und keine oder nur mickrige Sozialleistungen bereit hält, soll die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gerade stehen. Besser ist es, präventiv zu verhindern, dass Leute in die Mindestsicherung fallen.
Wir können viel tun. Es gibt genügend Instrumente und Möglichkeiten, im Vollzug der Mindestsicherung, in der Schule, beim Wohnen, in der Ressourcenstärkung der Betroffenen und mit sozialen Dienstleistungen gegenzusteuern. Armut ist kein Naturereignis, das es mit jeder neuen Erhebung frisch zu bestaunen gilt.
Wer ist betroffen?
173.000 Menschen in Privathaushalten leben unter Sozialhilfe-Bedingungen, darunter 30 Prozent Kinder und Jugendliche. (aktuell verfügbare Zahlen der Statistik Austria). Die Anzahl hat sich seit Ende der 90er Jahre verdoppelt. Gründe dafür sind prekäre Jobs, fehlende oder nicht existenzsichernde Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen und hohe Lebenshaltungskosten beim Wohnen. Prekäre Jobs mit daraus folgendem nicht existenzsichernden Arbeitslosengeld nehmen zu. Die neuen 'working poor' erhalten von der Mindestsicherung 'Mindeststandardergänzungen', um zu überleben.
Weiters haben Personen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Besonders nehmen depressive Erschöpfungszustände zu: Erste Studien zeigen: 4 von 10 MindestsicherungsbezieherInnen haben gesundheitliche Beeinträchtigungen. Und die steigenden Lebenshaltungskosten beim Wohnen wirken sich bei geringem Einkommen überproportional stark aus. Eine aktuelle Studie über BezieherInnen von Sozialhilfe hat auf eindrückliche Weise die schwindende soziale Integrationskraft von Erwerbsarbeit gezeigt. Sie handelt von Menschen, die zwischen letztem sozialen Netz und schlechten, desintegrativen Jobs hin und her pendeln. Sogenannte "Pendler" und 'Wiedereinsteiger' machen bereits 42 Prozent der Mindestsicherungsbezieher aus. Sie pendeln zwischen der 'Zone der Entkoppelung' und der 'Zone der Verwundbarkeit' wie der Soziologe Robert Castel formuliert. Aus der Armut ohne Arbeit geht es in die Armut mit Arbeit - und umgekehrt. Hier verkommen die Sprüche von der 'Integration in den Arbeitsmarkt' zu realitätsleeren Parolen. Hier findet keine soziale Integration statt. Im Gegenteil. Hier entsteht soziale Ausgrenzung durch die Arbeit selbst.
Wenn wir genau hinschauen, entlarven sich Gewissheiten als Klischees. Es trifft viele, die es sich 'nie gedacht hätten'. Daten aus Wien zeigen, dass für die große Mehrheit die Mindestsicherung eine kurzfristige Überbrückungshilfe darstellt. Die durchschnittliche Bezugsdauer betrug rund 7 Monate, bei 25 Prozent bloß 1 bis 3 Monate. Nur rund 10 Prozent der Mindestsicherungs-Haushalte leben zur Gänze und dauerhaft von der Leistung.
Downloads: Studie-Matrix-BMS-Monitoring (pdf), Zusammenfassung der Studie (pdf)