Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen
UN-Tag gegen Armut: Den gesundheitlichen Folgen von Armut entgegentreten / Armut geht unter die Haut
(16.10.2014) "Bei armutsbetroffenen Kindern treten ein mehr an Kopfschmerzen, Nervosität, Schlafstörungen und Einsamkeit auf", weist die Armutskonferenz anlässlich des UN-Tags gegen Armut (17.10) auf die Folgen von Armut hin. "Wo Sicherheit fehlt, wird die kritische Phase des Einschlafens doppelt schwierig. Und der stressige Alltag unter finanziellem Dauerdruck erreicht auch die Kinder und zwingt sie, sich den Kopf zu »zerbrechen«", so Martin Schenk, Sozialexperte und Psychologe. Bei Kindern von Erwerbslosen und Sozialhilfebeziehern treten überproportional Bronchial-Erkrankungen und Kopfschmerzen auf. Die Atemwegserkrankungen rühren oft von feuchten Wohnungen her. Viele Kinder tragen die soziale Benachteiligung als gesundheitliche Benachteiligung ein Leben lang mit. Sie sind auch als Erwachsene deutlich kränker als der Rest der Bevölkerung. "Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen", so Schenk von der Armutskonferenz.
Sozialer Ausgleich ist gute Medizin
Kein Geld zu haben, macht ja nicht direkt krank. Sondern die Alltagssituationen, die mit Armut und mit allen damit einhergehenden Prozessen verbunden sind. "Arme Raucher sterben früher als reiche Raucher". Wer mit Gesundheitsfragen von Armutsbetroffenen zu tun hat, sorgt sich um schimmelfreie Wohnungen, Bildung, Arbeit, Erholungsmöglichkeiten, und eine Auflösung der belastenden Existenzangst. Die Gesundheitsdienste müssen den Zugang, die Inanspruchnahme und die Qualität unabhängig von Einkommen und Herkunft gewährleisten. Die Ärmeren müssen in ihren Selbsthilfepotentialen und Ressourcen gestärkt werden; was auch Auswirkungen auf einen gesünderen Lebensstil hat. Gesundheitsförderndes Verhalten ist am besten in gesundheitsfördernden Verhältnissen erreichbar. Und sozialer Polarisierung können wir entgegentreten. Die Daten sprechen für sich: Sozialer Ausgleich ist eine gute Medizin, so Schenk.
Herzkrankheiten, Bewegungsapparat, Stoffwechsel
Die meisten Beschwerden treffen die unteren Einkommensgruppen zwei bis dreimal häufiger als die oberen. Der größte Unterschied zwischen den Einkommensgruppen findet sich bei Beschwerden mit psychosomatischem Anteil, bei Depressionen und depressiven Verstimmungen, Kopfschmerzen, Angst, Nervosität, Müdigkeit und Kraftlosigkeit. Einen etwas kleineren Unterschied zeigen Gelenksschmerzen, Magen-Darm- und Verdauungsbeschwerden, Atemschwierigkeiten, Konzentrationsstörungen und bei den Frauen Schlafstörungen. Besonders ausgeprägt sind die gesundheitlichen Ungleichheiten bei Erkrankungen des Bewegungsapparates, des Stoffwechsels und des Herz-Kreislaufsystems.
Chronische soziale Belastung geht unter die Haut
Auffallend stark treten die psychosozialen Auswirkungen hervor. Armut kränkt die Seele. Menschen mit geringem sozioökonomischem Status weisen signifikant mehr Krankenhausaufenthalte aufgrund affektiver Störungen wie Depression auf. Bei arbeitslosen Personen beträgt die Wahrscheinlichkeit noch ein Vielfaches. Ähnliche Unterschiede lassen sich auch für Belastungsstörungen beobachten. Menschen, die psychisch erkranken, haben bei sinkenden Chancen am Arbeitsmarkt, nicht-existenzsichernden Sozialleistungen und häufiger Stigmatisierung ein hohes Risiko, in die Armut zu rutschen. Aber auch der umgekehrte Weg von der Armut in eine schwere psychische Krise ist in der Public Health Forschung deutlich belegt. Chronische sozioökonomische Belastung geht unter die Haut.
Lücken: Psychische Hilfen, Prävention, Rehabilitation, Krankenversicherung
Für die bessere Gesundheitsversorgung fordert die Armutskonferenz:
1. Psychotherapie und psychosoziale Notdienste: erleichterter Zugang zu kostenloser Psychotherapie, Ausbau von Therapie- und Beratungseinrichtungen und psychosozialen Notdienste außerhalb der Ballungszentren
2. Prävention und Rehabilitation: erleichterter Zugang zu präventiven Gesundheitsmaßnahmen wie Kuren etc., uneingeschränkter Zugang zu REHA-Maßnahmen. Personen mit multiplen Beeinträchtigungen sind wegen Betreuungsbedarf von Kuren ausgeschlossen.
3. Finanzielle Unterstützung: Unbürokratische finanzielle Unterstützung bei Behandlungen mit hohen Selbstbehalten (Zahnersatz, Regulierungen, etc.) sowie bei notwendigen Heilbehelfen (Hörgeräte, orthopädische Hilfen etc.) Selbstbehalte außerhalb der Rezeptgebührenbefreiung sind für Prekarisierte und Armutsbetroffene nicht leistbar.
4. Krankenversicherung: Schließen der Lücken für Menschen ohne Krankenversicherung
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