Pilotprojekt 100 Schulen muss zu einem echten Chancenindex für alle werden

Flächendenkend und sofort! 100 teilnehmende Schulen bedeutet, dass lediglich jede elfte betroffene Pflichtschule berücksichtigt wird

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(16.03.2021) Die Armutskonferenz hofft, dass „das Pilotprojekt 100 Schulen zu einem echten Chancenindex für alle führt“ Das heißt „flächendeckend, mit sozioökonomischen Indikatoren, mit Schulentwicklung, und nicht beschämend. Das bräuchten wir jetzt besonders in Corona-Zeiten und sofort“, so Sozialexperte Martin Schenk von der Armutskonferenz.

Würde es hierzulande bereits einen Chancenindex geben, befänden sich rund 17 % aller Pflichtschulen in Stufe 5 bis 7, also „hoher“ bis „sehr hoher“ Unterstützungsbedarf (Statistik Austria). Die überwiegende Mehrheit der österreichischen Schulstandorte wäre in den sozial gut durchmischten Chancen-Index-Stufen 3 und 4. Das Pilotprojekt 100 Schulen kann nur einen geringen Anteil der Schulstandorte abdecken. Hundert teilnehmende Schulen bedeutet, dass nur jede elfte Pflichtschule mit großen Herausforderungen berücksichtigt wird. Und selbst wenn sich das Pilotprojekt nur an Volksschulen richten würde, könnte nur jeder vierte Volksschulstandort in Österreich teilnehmen.

Schulentwicklung: Voneinander lernen

Es gibt einige internationale Beispiele, die zeigen, wie Schulen an benachteiligten Standorten die Trendwende schaffen können. „Wir haben jede Schule aufgefordert, drei Punkte zu nennen, in denen sie wirklich gut ist – gut genug, um andere einzuladen“, sagen die Londoner Schulreformer der „London Challenge“. Man müsse auch die Tradition brechen, dass jeder Lehrer für sich alleine kämpft. Hier braucht es Unterstützung und Ressourcen für die Pädagogen. Die Vorteile sind: Schulische Autonomie und Demokratie wird gefördert und Anreize für engagierte Pädagogen gesetzt.

Schule macht sich stark

Ähnliche Erfahrungen machten auch das deutsche Aktionsprogramm „Schule macht sich stark“. In Berlin beispielsweise wurden zehn Schulen ausgewählt, in denen es schwache Lernergebnisse gab, viele Kinder aus Haushalten mit wenig Geld unterrichtet wurden und in denen es häufiger als in anderen Schulen zu Gewalt kam. Die Erkenntnisse daraus: 1. Schulen in kritischen Lagen verändern sich selten von sich aus. Der Anstoß muss von außen kommen 2. Unterrichtsqualität ins Zentrum rücken 3. Lehrkräftequalität sichern: schulinterne Fortbildungsprogramme aufsetzen 4. Teamstrukturen aufbauen, multiprofessionelle Teams in Schulen fördern 5. Das Grätzel, den Sozialraum um die Schule miteinbeziehen und 6. Schule ganztägig führen.

Die drei systemischen Gründe für Bildungsungleichheiten

Das österreichische Schulsystem delegiert sehr viele Bildungsaufgaben an die Eltern. Daher hängt viel davon ab, ob die Eltern unterstützen können oder nicht. In der Soziologie wird das als "primärer Schichteffekt" bezeichnet. Zweitens Selektion. Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung. Dies wird als "sekundärer Schichteffekt" bezeichnet. Und drittens die soziale Zusammensetzung in der Schule. Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder schwächerem ökonomischen Status wirken sich ungünstig auf die Bildungschancen der Kinder aus. Das nennt man "sozialen Kontexteffekt“.

„Nicht-beschämendes“ Vorgehen

„Der Chancenindex würde besonders bei Effekt Drei, aber auch bei Eins helfen“, analysiert Martin Schenk. Aus den internationalen Vergleichsstudien wissen wir aber: Mehr Geld für die Schulen bedeutet nicht automatisch, dass sie qualitativ besser werden. Deswegen muss jeder Standort ein Konzept entwickeln, wie er die Ressourcen am sinnvollsten einsetzt. Für den Erfolg zentral ist ein wertschätzendes, nicht-beschämendes Vorgehen. Öffentliche Rankings von Schulen beschämen die Schwächeren statt sie zu stärken - und vertiefen die Unterschiede. Zur Schulentwicklung ist es zielführender, wenn sozial ähnlich zusammengesetzte Schulstandorte voneinander lernen.


Weitere Informationen

Die Armutskonferenz beschäftigt sich mit der Einführung eines Chancenindex bereits seit über 10 Jahren:

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