Armutskonferenz an Minister Kocher: Für ein Arbeitslosengeld, das Chancen erhöht und vor Absturz bewahrt!
Höheres Arbeitslosengeld & Notstandshilfe wirken präventiv / Zuverdienst verkürzt Langzeitarbeitslosigkeit / Gute Ausbildungsmaßnahmen erhöhen Chancen
(06.12.2022) Es braucht „ein Arbeitslosengeld, das vor Absturz bewahrt und Chancen am Arbeitsmarkt erhöht“, wendet sich das Netzwerk Armutskonferenz heute in einem Appell an Arbeitsminister Martin Kocher, eine sozial ausgewogene Reform nicht weiter zu blockieren. „Ein besseres, höheres Arbeitslosengeld schützt davor, in die Sozialhilfe zu fallen und verhindert in schwierigen Zeiten total abzustürzen“.
„Man kann den Zuverdienst im ersten Jahr abschaffen, muss ihn aber dann für besonders vulnerable Gruppen und für Langzeitarbeitslose beibehalten“, kritisiert die Armutskonferenz die publik gewordenen Vorschläge. „Langzeitarbeitslose, die dazuverdienen können, bekommen auch rascher wieder einen vollwertigen Job. Gleichzeitig gilt es, auf die Umwandlung der prekären Beschäftigungsverhältnisse zu schauen“, so die Armutskonferenz.
„Das bisher kolportierte Modell ist eine Scheinerhöhung“, analysiert die Armutskonferenz. Rechnet man die 10 Tage Sperre mit ein, dann verlieren besonders Menschen mit geringem Arbeitslosengeld und solche, die nur kurz arbeitslos sind. Das macht immerhin 30% bis 40% der Arbeitslosen aus, die am Anfang überhaupt nicht profitieren. Im ersten Monat sinkt das Arbeitslosengeld damit auf unter 50% Nettoersatzrate, über alle drei Monate gerechnet sind wir dann ehrlicherweise nicht bei 70%, sondern bei 60%.
Das ganze Modell liefert falsche Anreize, Menschen in der Arbeitslosenversicherung „zwischen zu parken“. Eine bloße Degression am Anfang verstärkt die Fehlentwicklung des „Zwischenparkens“. Das kostet die Arbeitslosenversicherung 500 Millionen Euro jährlich. Da braucht es Modelle wie „Experience Rating", also dass Unternehmen und Branchen, die fürs „Parken“ bekannt sind, höhere Beiträge zahlen müssen.
Das österreichische Arbeitslosengeld ist im Kern bereits jetzt degressiv. Die bestehenden Arbeitslosenversicherungs-Leistungen sind jetzt schon der Höhe nach und im Zeitverlauf gestaffelt, auch abhängig von der Beschäftigungsdauer. Ein degressives Arbeitslosengeld darf keinesfalls weiter die bereits prekäre Situation von Langzeitbeschäftigungslosen verschlechtern. Eine Arbeitsmarktreform muss darauf abzielen, Menschen vor dem völligen sozialen Absturz zu bewahren – durch existenzsichernde Erwerbsarbeit, Erhöhung der Jobchancen und ein armutsfestes Arbeitslosengeld.
Zuverdienst bei Langzeitarbeitslosigkeit arbeitsmarkt- und sozialpolitisch sinnvoll
Für Langzeitarbeitslose ist die Möglichkeit, Geld dazu zu verdienen, sozial- und arbeitsmarktpolitisch wichtig. Ohne Zuverdienst können viele ihre Schulden nicht regeln, und ohne Schuldenregelung finden sie keinen Job wegen der Lohnpfändung. Das sehen wir zum Beispiel in der Schuldenberatung wo 40% der Ratsuchenden arbeitslos sind. Für Menschen, die wegen einer schweren psychischen Erkrankung lange arbeitslos sind, ist der Zuverdienst auch auf eine andere Weise existentiell. Er hilft den Tag zu strukturieren, soziale Kontakte zu pflegen und selbst aktiv zu bleiben. Und: Langzeitarbeitslose, die dazu verdienen können, bekommen auch rascher wieder einen vollwertigen Job. Das zeigt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts. Der Zuverdienst ist bei dieser Gruppe also auch arbeitsmarktpolitisch sinnvoll.
Das Problem bleibt, dass diese Jobs keine guten, auch sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Arbeitsplätze sind. Einige AMS in Österreich versuchen deshalb gleichzeitig Betriebe zu bewegen, daraus regulären Anstellungen zu machen. Das könnte noch verstärkt werden.
Besseres und höheres Arbeitslosengeld wirkt präventiv und schützt uns alle
Ein besseres, höheres Arbeitslosengeld schützt davor, in die Sozialhilfe zu fallen. Das zeigen auch die Daten aus der Corona Zeit. Denn in dieser Zeit ist die Zahl der Menschen mit Sozialhilfebezug nicht angestiegen. Der Grund waren die sozialen Maßnahmen beim Arbeitslosengeld wie die Erhöhung der Ausgleichszulage oder die Angleichung der Notstandshilfe auf das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld. Das hat präventiv gewirkt – und den sozialen Absturz vieler aus der unteren Mittelschicht verhindert. „Wer beim Arbeitslosengeld streicht und kürzt, erhöht die Betroffenen in der Sozialhilfe. Andersrum ist wesentlich sinnvoller: Ein besseres und höheres Arbeitslosengeld schützt uns alle“, analysiert die Armutskonferenz.
Niedriglohn und Niedrigarbeitslosengeld bilden die Kettenreaktion in die Armut. In der Studie zu den sozialen Folgen der Corona-Krise fanden sich zwei Gruppen. Eine hat vor der Krise in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet, hat keine Ersparnisse und bezieht sehr niedriges Arbeitslosengeld. Diese Menschen sind tatsächlich durch die Corona-Krise und ihren Jobverlust in Armut geraten. Die zweite Gruppe hatte einen gut bezahlten Job, im Idealfall finanzielle Rücklagen und einen ausreichend hohen AMS-Bezug. „Das zeigt wie wichtig ein existenzsicherndes und höheres Arbeitslosengeld ist“, betont die Armutskonferenz. Bei prekär Beschäftigten und „working poor“ offenbarte sich ein Muster besonders klar: die finanziellen Probleme wirken auf andere in der Familie weiter und bringen diese in einer Art Kettenreaktion ebenfalls in existentielle Schwierigkeiten.
Die aktuellen Daten der Statistik Austria zeigen, wer von den sozialen Folgen der Teuerung besonders betroffen ist: Arbeitslose, Alleinerziehende und Mehrkindfamilien. Für 1,2 Mio. Menschen (18%) stellen die Wohnkosten eine schwere finanzielle Belastung dar. Das sind 5 Prozentpunkte mehr als im ersten Quartal 2022. Am stärksten durch die Wohnkosten belastet: Arbeitslose: 40% (plus 9 Prozentpunkte gegenüber ersten Quartal 2022). 560.000 Personen bzw. 9% haben einen Zahlungsrückstand bei Miete, Wohnnebenkosten, Betriebskosten oder Kreditraten. Unter den Haushalten, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist ein Viertel (26%) in Zahlungsverzug, zitiert das Netzwerk Armutskonferenz die Statistik.
Bildungs-, Finanz- & Wirtschaftspolitik. Und exogene Faktoren wie Corona und Energiekrise.
„Wie viele Menschen arbeitslos sind, hängt nicht direkt mit der Höhe des Arbeitslosengeldes zusammen. Wenn das so wäre, müsste es in den Ländern mit dem niedrigsten Arbeitslosengeld auch die wenigsten Arbeitslosen geben. Das trifft nicht zu. Das Arbeitslosengeld erklärt nur einen kleinen Bruchteil der Arbeitslosigkeit. Einen viel größeren Einfluss auf die Zahl der Arbeitslosen haben andere Faktoren wie Bildungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Und exogene Faktoren wie Corona oder Energiekrisen. Das haben wir die letzten Jahre auch hautnah erlebt“, so die Armutskonferenz abschließend.