Hinterm Scheinwerferlicht – Schreiben im Schatten von Prekarität
Armutskonferenz und GAV - Grazer Autorinnen- und Autorenversammlung veranstalten Abend zu prekärer Kultur
Prekär zu leben, bedeutet geringe Planungssicherheit und Abhängigkeiten. Viele Schriftsteller*innen leben und schreiben prekär, was sowohl formal als auch inhaltlich Eingang in ihre literarischen Arbeiten findet.
Eva Schörkhuber – selbst Schriftstellerin führt am 25.10. durch einen Abend, der sich literarisch und politisch mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Autor*innen beschäftigt. Sie verweist dabei kritisch auf das idealisierte Bild vom zurückgezogenen, komplett von seiner schriftstellerischen Arbeit eingenommenen Künstler. Ein Bild, dass nur wenige schreibende Personen erfüllen. Vor allem, weil bei den meisten das freie Schreiben kaum reicht und weil in diesem Bild Sorgearbeiten komplett ausgeklammert werden. Der Abend bot mit seinen vier literarischen Gästen ein Gegenbild und einen Einblick in die prekäre Realität.
Verena Dürr arbeitet im Winter in Notschlafstellen, bezahlt durch das Winterpaket, das mehr Ressourcen für die kalte Jahreszeit schafft. Trotzdem sind die Kapazitäten notorisch knapp – die Betten am Limit, die Ausfälle aufgrund von Krankheitswellen kaum zu kompensieren, die Privatsphäre für die krisengebeutelten Gäste nicht vorhanden. Die Autorin verarbeitet in der Figur „Marry many more jobs“ ihren Alltag – dabei spiegelt die fragmentierte Form der Texte die Zerrissenheit, die in der Rolle der Sozialarbeiterin und Saisonarbeiterin angelegt ist, wider.
Andreas Pavlic und Nikolaus Scheibner, die beide nicht nur schreiben, sondern auch ihren Brotjobs im textproduzierenden Gewerbe nachgehen, reflektieren über ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrer eigenen Prekarität. Pavlic begibt sich dazu auf eine Spurensuche in der eigenen Vergangenheit, Scheibner trennt die Prekarität des Schreibens von der des Lebens – verwebt sie dann aber in ausgewählter Poesie wieder miteinander.
Den künstlerischen Teil des Abends rundet Christine Sallinger ab, die beißenden Zynismus und pointierte Sprache einsetzt um die Realität von Menschen mit Armutserfahrung sichtbar zu machen. Sie möchte aufrütteln, denn in der politischen Diskussion werden die mit geringen finanziellen Ressourcen zum Sündenbock, während strukturelle Ungerechtigkeiten achselzuckend hingenommen werden. Das zeigt sie am Beispiel des Klimathemas. So leitet sie zum zweiten Teil des Abends, zur Präsentation des Zukunftsprogramms der Armutskonferenz, über. Der Fokus liegt dabei auf dem Kapitel zu Kunst und Kultur. Verena Fabris gibt, eingeleitet von Alban Knecht, einen Überblick über die ausgearbeiteten Maßnahmen und Ziele.
Wenig bekannt ist, dass gut ein Drittel beruflich in Kunst und Kultur Tätiger unter der Armutsgefährdungsschwelle lebt, dass die erzielten Einkommen oft so gering sind, dass es ohne Nebenjobs oder „Querfinanzierungen“ durch Partner*innen oder Familie nicht möglich ist, künstlerisch zu arbeiten. Zudem waren weniger als 60 % in den vergangenen zehn Jahren durchgehend sozialversichert und über 75 % der Selbständigen in Kunst und Kulturarbeit haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Zudem sind Arbeits- und Produktionsbedingungen mancherorts nicht frei von Machtmissbrauch und Übergriffen. Die oft hohe Bereitschaft zur Selbstausbeutung und zum Hinnehmen von Missständen, schlechter Bezahlung und unfairen Verträgen wird getragen von der Hoffnung auf den karrieremäßigen Erfolg. Übersehen wird dabei, dass sich das nur für eine kleine Gruppe „ausgeht“ und dass in Kunst und Kultur weitreichende und große Ungleichheiten in Bezug auf Bezahlung, Ressourcen und Anerkennung Realität sind. Umso wichtiger sind Fair Pay und Fairness, die zur Überwindung vielfältiger Ungleichheit(en) beitragen, sowie umfassende Sozialversicherungen in Kunst und Kultur, die auf atypische und hybride Beschäftigungen abgestimmt sind.