Unmenschliche Sozialhilfe: SozialRechtsNetz bekämpft Sozialhilfekürzung bei Menschen mit Beeinträchtigung
Sozialhilfekürzung für Menschen mit Behinderung
(22.4.22) Armutsbetroffenen Menschen mit Beeinträchtigung wird in Niederösterreich die Sozialhilfe verwehrt, wenn diese
bei ihren Eltern leben. Das geschieht auch dann, wenn die Eltern selbst nur über sehr niedrige Einkünfte verfügen und den Kindern somit kaum Unterstützung zukommen lassen können. Das SozialrechtsNetz geht gegen diese Regelung gerichtlich vor.
Ausgangssituation Niederösterreich
Herr Huber lebt in Niederösterreich und ist 29 Jahre alt. Auf Grund einer Beeinträchtigung lebt er, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder und einer Mitbewohnerin bei seiner Mutter. Im April 2020 beantragt er bei der zuständigen Behörde Sozialhilfe. Da das Ermittlungsverfahren bei der zuständigen Behörde länger dauert, überweist ihm diese vorab für Juni EUR 400 an Soforthilfe.
Am 13.7.2020 spricht das Landesverwaltungsgericht (LVwG) Niederösterreich in einem parallelen Verfahren aus, dass Herrn Huber für den Zeitraum November 2017 bis Oktober 2019 zu wenig Mindestsicherung ausbezahlt worden war, da die zuständige Behörde falsch entschieden hatte. Am 17.7.2020 überweist die Behörde Herrn Huber EUR 11.206,86 auf Grund der Entscheidung des LVwG Niederösterreich.
Am 17.7.2020 behebt Herr Huber EUR 6500 von seinem Konto, um Schulden zu begleichen, welche durch die zu geringen Auszahlungen der Mindestsicherung von November 2017 bis Oktober 2019 angelaufen waren.
Am 10.8.2020 – knapp drei Wochen nach Zahlungseingang, gut vier Monate nach Antragstellung – entscheidet die Behörde schließlich über den Antrag von Herrn Huber von April 2020. Für den gesamten Zeitraum 1.5.2020 bis 30.4.2021 gebühre Herrn Huber nur im Mai eine Unterstützung von EUR 385,29. Für Juni habe Herr Huber bereits EUR 400 als Vorauszahlung erhalten und ab Juli verfüge er über ausreichend Vermögen, auf Grund der Nachzahlung der Mindestsicherung für die Jahre 2017-2019. Der Fehler der Erstbehörde aus dem Jahr 2017-2019 wird Herrn Huber doppelt zum Nachteil. Nicht nur, dass er in der Zeit von 2017-2019 nur aufgrund der finanziellen Unterstützung eines Bekannten überleben kann und ihm die zustehende Mindestsicherung in zu geringen Ausmaß ausbezahlt wird. Nein, die Behörde nimmt die Nachzahlung und ihren eigenen Fehler zum Anlass, Herrn Huber erneut die ihm zustehende Sozialhilfe einzustellen.
Herr Huber erhebt gegen die Nicht-Zuerkennung von Juli 2020 bis April 2021 Beschwerde an das LVwG Niederösterreich. Dieses behebt die Entscheidung der Behörde in Teilen, da das Vermögen nicht mehr liquid ist. Herr Huber hat € 6.500,00 für das Begleichen der entstandenen Schulden herangezogen. Somit war kein anrechenbares Vermögen mehr vorhanden, da er mit den verbleibenden € 4.706,86 unter den Vermögensfreibetrag von € 5.696,76 fällt, welcher vom Sozialhilfe-Ausführungsgesetz gewährt wird.
Das LvwG führt jedoch aus, dass Herrn Huber von der, grundsätzlich von Juli 2020 bis April 2021 zustehenden Sozialhilfe ein Teil des Einkommens seiner Mutter als Unterhaltsleistung abzuziehen sei. Das geschieht in Niederösterreich, weil Herr Huber trotz seiner Volljährigkeit aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht selbsterhaltungsfähig ist, und seine Mutter ihm daher Unterhalt schuldet. Im Niederösterreichischen Sozialhilfeausführungsgesetz (NÖ SAG) ist geregelt, dass bei unterhaltsberechtigten Personen die Sozialhilfe um jenen Betrag zu kürzen ist, den das Einkommen der unterhaltspflichtigen Person den für die unterhaltspflichtige Person zustehenden Richtsatz übersteigt.
Der, nach dem NÖ SAG zustehende Richtsatz für die Mutter von Herrn Huber beträgt im Jahr 2020 EUR 642,15 und im Jahr 2021 EUR 664,62 . Da die Mutter von Herr Huber im relevanten Zeitraum von Juli 2020 bis April 2021 Leistungen von AMS und Krankengeld von der ÖGK ausbezahlt wurden, wird der grundsätzlich für Herrn Huber zustehende Betrag gekürzt. Huber
Im Ergebnis wurde Herrn Hubers Sozialhilfe dadurch um EUR 3.273,05 für den Zeitraum Juli 2020 bis April 2021 gekürzt.
SozialRechtsNetz Einschätzung
In manchen Konstellationen der Niederösterreichischen Sozialhilfe drängt sich der Vergleich zu den Schildbürgern auf. Die zuständige Behörde hat im Fall von Herrn Huber, diesem zwei Jahre lang eine viel zu niedrige Mindestsicherung ausbezahlt. Sie verwendet dann die von Herrn Huber durchgesetzte Nachzahlung seines Rechtsanspruches als Begründung, die ihm zustehende Sozialhilfe zu gewähren.
Was bei den Schildbürgern noch als spaßiges Behördenversagen durchgehen könnte, erscheint im Anlassfall wie gezielte Schikane aus dem Lehrbuch von Franz Kafka. Derlei Vorgehen der Behörden führt bei Armutsbetroffenen zu massiven finanziellen, psychischen und anderen Belastungen. Die Ungewissheit über seine finanzielle Zukunft in der Herr Huber mehr als zwei Jahre lang auf Grund der falschen Entscheidung der Behörde verharren musste, führt dazu, dass Herr Huber für ihn lebensnotwendigen Medikamente und Einkäufe kaum bewältigen konnte. Er muss sich in dieser Zeit verschulden, um überhaupt sein Leben finanziell bewältigen zu können. Als ihm schließlich endlich vom LvwG Niederösterreich das Geld rückwirkend zugesprochen wird, nutzt die Behörde das für die Ablehnung der für das nächste Jahr zustehenden Sozialhilfe.
Das LvwG behob zumindest diesen Teil der Entscheidung, da Herrn Huber das Geld auch gar nicht verblieben ist, sondern dieser sofort seine Schulden damit beglichen hatte. Nichtsdestotrotz bleibt die Entscheidung des LvwG Niederösterreich und die Rechtslage, auf die sie sich stützt, hochproblematisch. Die Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen auf die Sozialhilfe von Unterhaltsberechtigten führt insbesondere in Fällen wie jenen von Herrn Huber zu ungerechten Härten. Dabei werden insbesondere Menschen mit Behinderungen durch diese Regelungen diskriminiert. Herr Huber lebt auf Grund seiner Behinderung bei seiner Mutter, was zu einem geringeren Richtsatz führt, als für Alleinstehende. Seine Beeinträchtigung und der daraus resultierende Unterhaltsanspruch wird ihm schließlich in der Sozialhilfe zum Vorwurf gemacht und führt zu einer beträchtlichen finanziellen Einbuße.
Während es im alten NÖ-Mindestsicherungsgesetz noch eine Ausnahmeregelung für Fälle gab, in denen Unterhaltsleistungen faktisch nicht geleistet wurden, wird in der neuen Sozialhilfe jeder fiktive Unterhalt zur Anrechnung gebracht. Das stellt eine dramatische Verschlechterung für Menschen wie Herrn Huber dar. Das SozialRechtsNetz will die Entscheidung des LvwG nicht hinnehmen und hat dagegen eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Über den Ausgang des Verfahrens werden wir berichten.
Zusammenfassung:
Der Fall zeigt einmal mehr: Die Niederösterreichische Sozialhilfe verfehlt ihren Zweck, nämlich die Existenzsicherung von Menschen in finanziell prekären Lebenslagen. Die Sozialhilfe leistet zu wenig Unterstützung, um die Situation von Armutsbetroffenen nachhaltig zu verbessern. Herr Huber ist in Niederösterreich leider einer von vielen Menschen, die schikanös in das finanzielle Elend getrieben werden; auf Grund der geschilderten Praxis werden es mehr und mehr. Über einen ähnlichen Fall hatten wir hier berichtet .
Die Regelungen die zum Anlassfall führen, sind diskriminierend für Menschen mit Behinderungen. Auf Basis des NÖ SAG werden Armutsbetroffene schikaniert und sie werden in schwere finanzielle und persönliche Krisen gestürzt.
Das SozialRechtsNetz unterstützt Fälle, bei denen Menschen zu Unrecht Sozialleistungen verwehrt werden. Kontaktdaten finden Sie unter:
www.sozialrechtsnetz.at