Nora hoch 3 - Henrik Ibsen/Elfriede Jelinek
Aus der KulturPASSage - ein Artikel von Traude Lehner
Im Volkstheater wird zurzeit "Nora^3" gespielt. Henrik Ibsens Drama ist den meisten Theaterfreund_innen bekannt. Doch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat sich gefragt, was passierte mit Nora, nachdem sie ihren Mann und die drei Kinder verlassen hat. Zu Beginn sieht man nur Nora Helmer, hervorragend gespielt von Stefanie Reinsperger, die sich bei einer Textilfabrik vorstellt. Aus der ersten Reihe steht ein Mann auf und stellt sich als Personalchef vor und spricht zum Publikum, das die Belegschaft ist und fragt, ob man sie einstellen soll. Ein paar Reihen dahinter stehen zwei Frauen auf, die Nora Vorwürfe machen, warum sie ihre Kinder und den Mann verlassen hat. Weiter hinten steht Franz, ein Arbeiter, auf, er ist sofort von Nora begeistert. Ganz hinten sitzt Konsul Weygang, der langsam auf die Bühne schlendert und Nora vorschlägt, im Zuge eines Betriebsfestes ihre Geschichte zu spielen. Nora ist begeistert, und nun sieht man sie als die Figur von Ibsen. Im dritten Teil verliebt sich der Konsul in Nora, und sie ist glücklich, bis er genug von ihr hat, weil sie älter wird und Cellulitis und Falten bekommt. Das Ende ist sehr sozialkritisch, da geht es um Menschen in Bangladesch und anderen asiatischen Ländern, die für die Textilindustrie und die Modeöabels arbeiten. Jelinek hat ein großartiges Stück geschrieben, in dem die Männer fast alle Machos sind, bis auf Franz, der von den Frauen verlassen wird. Doch im Grunde verlieren - wie immer - die Frauen.
Der tschechische Regisseur Dusan David Parizek hatte die grandiose Idee, einige der Schauspielerinnen mitten unter den Zuschauerinnen auftreten zu lassen. Die Bühne hat keine Kulisse, und Requisiten bestehen nur aus Kleidern und sonstigen kleinen Gegenständen. Die fünf Darsteller_innen außer Nora haben jeweils zwei Rollen. Was mir besonders gefallen hat: Die Protagonist_innen in der Textilfabrik reden alle in verschiedenen Dialekten, von Wienerisch über Bayrisch und Schwäbisch bis Berlinerisch. Die Vorstellung dauert zweieinhalb Stunden ohne Pause, dafür verteilten die Darstellerinnen zu Beginn des dritten Teiles Bier, Brezen und lustige Hütchen. Das Volkstheater unter der neuen Führung gefällt mir ausgesprochen gut. Ich hoffe, dass es so bleibt. Auf der Bühne darf geraucht werden und die Stücke sind durchaus gesellschaftskritisch, auch die Schauspieler_innen sind erste Klasse. Stefanie Reinsperger zum Beispiel kommt vom Burgtheater.
Mein Fazit zu "Nora^3": einerseits humorvoll, anderseits ein Stück zum Nachdenken über Beziehungen zwischen Mann und Frau, aber auch über Globalisierung und Kapitalismus und die Gier, immer mehr zu wollen und dabei ohne Skrupel zu sein und über Leichen zu gehen. Obwohl die Frauen heute etwas besser gestellt sind als zu Ibsens Zeiten, wird es keine Gleichberechtigung geben; solange die Männer um vieles mehr verdienen, egal in welchem Job, so lange werden die Frauen immer verlieren, auch wenn sie Karriere machen, und werden die Männer weiterhin das Sagen haben. Frauen wie Nora, die sich auflehnen und alles zurücklassen, gibt es wenige, doch auch Nora hat es nicht geschafft, sie hat ein neues Leben mit einem neuen Mann begonnen und diesmal wurde sie verlassen.
Veröffentlicht am 21.04.2016
Erschienen in der KulturPASSage Augustin. Ausgabe 409/2016. dichter innenteil. Seite 34