Sozialpolitik im Rückwärtsgang - Das Beispiel Oberösterreich

Statt Fortschritt bei menschenrechtlichen Mindeststandards vergrößern sich Lücken und Mängel

Österreich ist kein sozialpolitisches Ödland. Nein, das wäre wirklich eine maßlose Übertreibung der KritikerInnen. Denn die vielen Transferleistungen und das wohlfahrtsstaatliche Sicherungssystem zeichnen ein gut ausgewogenes soziales System aus, das wesentlich zur Reduktion von Armutsgefährdung beiträgt. Von den Umverteilungsmaßnahmen profitieren alle Menschen in Österreich.

Trotzdem wird in der medialen politischen Diskussion der Eindruck vermittelt, dass die Probleme einer Finanzierbarkeit des Wohlfahrtsstaates insbesondere durch Soziale Dienste, Zuschüsse im Senioren- und Behindertenbereich oder die Mindestsicherung entstehen würden.

Das Mindeste wird in Frage gestellt

Oberösterreich tat sich bereits 2016 durch massive Kürzungen der Mindeststandards bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) hervor. Die erste Kürzung betraf asylberechtigte Menschen, die 2017 nur mehr € 560 als Mindeststandard erhalten. Dieser Betrag kann nochmals gekürzt werden, sollten die aufgetragenen Maßnahmen der abzuschließenden Integrationserklärung nicht erfüllt werden.

Dies ist weder bedarfsorientiert noch Mindeststandard. Subsidiär schutzberechtigte Menschen werden nun in Oberösterreich gänzlich von den Leistungen der BMS ausgeschlossen. Die zweite Kürzung hat die oö. ÖVP-FPÖ-Regierung ebenfalls schon beschlossen: die mit Oktober 2017 wirksam werdende Deckelung der BMS-Leistung auf maximal € 1.500 pro Haushalt.

Betroffen sind davon alle LeistungsbezieherInnen – österreichische StaatsbürgerInnen, EU-BürgerInnen und denen gleichgestellte Personen.

Hinzu kommt, dass die Unübersichtlichkeit dieser Kürzungsnovelle beachtlich ist: Die vielen Ausnahmen – von der Arbeitsunfähigkeit über pflegende Angehörige bis hin zum Bezug der erhöhten Familienbeihilfe – sind im Detail unscharf und geben viel Interpretationsspielraum für den Vollzug.

Und die Erfahrung zeigt: Fehlende klare Verfahrensregeln erschweren den Zugang zu den Leistungen und führen vermehrt zur Nicht-Inanspruchnahme.

Die BMS war in ihrer ursprünglichen Form ein ausbalanciertes System zur Absicherung der Mindeststandards des Lebensbedarfs. Mit Kürzungen wird unterstellt, dass Menschen auch mit weniger als diesem Mindeststandard auskommen und ein menschenwürdiges Leben führen könnten.

Erhöhte Familienbeihilfe reduziert Leistung

In dem bis Ende 2016 verbindlich für alle Bundesländer geltenden Bund-Länder-Vertrag zur BMS war ausdrücklich festgeschrieben, dass die Familienbeihilfe nicht als Einkommen anzurechnen ist.

Denn der Bezug der erhöhten Familienbeihilfe dient dazu, den behindertenspezifischen Mehraufwand teilweise abdecken zu können. Das Land Oberösterreich hat diesen Teil der BMS-Vereinbarung negiert und die volle Anrechnung der Familienbeihilfe festgelegt.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob jene Bestimmung der oö BMS-Verordnung auf, in der die Anrechnung der erhöhten Familienbeihilfe geregelt war. Leider hat der VfGH nicht die Anrechnung der gesamten (erhöhten) Familienbeihilfe untersagt, sondern nur den Erhöhungsbetrag – also die „Verdoppelung“ – darf keinesfalls als Einkommen gewertet werden.

Ein erster Erfolg und ein Schuss vor den Bug für das Land Oberösterreich!

Das Land Oberösterreich musste nun auf den Erhöhungsbetrag verzichten, wollte aber den Grundbetrag der Familienbeihilfe weiterhin anrechnen. Diese strittige Anrechnung wurde aber nur befristet bis Juli 2017 beschlossen.

Die Hoffnung auf ein Ende der Anrechnung keimte auf, da vom Sozialressort keine Vorbereitungen für eine Verlängerung der Anrechnung getroffen wurden. Kurz vor der letzten Möglichkeit zur Beschlussfassung im Landtag brachte die SPÖ überraschend einen Initiativantrag ein, der eine Verlängerung – auf weitere fünf Jahre – vorsah.

Nach kurzer Diskussion verabschiedete der Landtag einstimmig die Schlechterstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen bis ins Jahr 2022! Die Benachteiligung gegenüber Menschen in anderen Bundesländern bleibt bestehen.

Selbstbestimmtes Leben wird unzureichend unterstützt

Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft: Dieses Postulat führt Artikel 19 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) bereits im Titel und legt in den Ausführungen eine Reihe von Selbstverpflichtungen der Unterzeichnerstaaten fest.

Menschen mit Beeinträchtigungen müssen beispielsweise die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort selbst wählen und entscheiden zu können, mit wem sie dort leben. Mit dem Bekenntnis zu Autonomie und sozialer Inklusion in einem völkerrechtlichen Vertrag sind wichtige Ziele für die praktische Umsetzung der Sozialpolitik auf Bundes- und Länderebene skizziert.

Es geht dabei nicht um utopische Forderungen, nein, es sollen „nur“ die gleichen Rechte für alle Menschen gelten und die Behinderung von Menschen mit Beeinträchtigungen beendet werden.

Die Realität hält mit diesen hehren Zielen (noch) nicht Schritt. Die Oberösterreichische Plattform bedarfsgerechte Persönliche Assistenz macht unermüdlich auf die Missstände aufmerksam, jüngst mit einer öffentlichen Protestversammlung in Linz.

Die Wartelisten für Persönliche Assistenz sind elendslang und beinhalten allein für Oberösterreich mehr als 1.300 Personen. Von daher braucht es dringend eine massive Ausweitung des Leistungsangebotes, nämlich auch für Menschen mit intellektuellen oder psychischen Beeinträchtigungen.

Als Folge des bestehenden Defizits an mobilen und selbstbestimmten Angeboten breiten sich die Fürsorgegedanken bei Angehörigen, der Politik und auch der Verwaltung weiter aus. Diese münden letztendlich in der Empfehlung für eine stationäre Einrichtung oder im besten Fall eine Wohngemeinschaft als logische Konsequenz fehlender ambulanter Unterstützungsstrukturen. Doch auch hier warten in Oberösterreich fast 3.500 Menschen auf eine entsprechende Wohneinrichtung.

Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention fehlt

Bei Betrachtung der hier aufgezählten Mängel wird ersichtlich, dass es für die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen in Oberösterreich unerlässlich ist, dass die Umsetzung der UN-BRK auf Landesebene konsequent geplant und überwacht wird.

Dazu sollte auch der Landes-Monitoring-Ausschuss beitragen. Dieser ist aber derzeit vorsitzlos und die Politik versucht seine Rolle auf einen von ihr abhängigen Beirat ohne finanzielle Ressourcen zu reduzieren. Eine Entwicklung entgegen der in der UN-BRK verbindlich vorgesehenen Standards.

Ein Landes-Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK ist dringend erforderlich, damit die bestehenden Defizite systematisch und im Sinn der Selbstbestimmung und Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen beseitigt werden können.

Widrigenfalls ist zu befürchten, dass weiterhin das Verwaltungshandeln und kurzfristige politische Ziele, gekoppelt mit der ständig herbeigeredeten Budgetknappheit, den Maßstab für sozialpolitisches und menschenrechtliches Handeln bilden. Und dann würde es weiterhin heißen: Bitte warten, bitte warten …

Norbert Krammer (VertretungsNetz - Sachwalterschaft)

Beitrag zuerst erschienen auf www.bizeps.or.at

Veröffentlicht am 11.08.2017