Verschärfte Frauenarmut durch Gesetzesentwurf Sozialhilfe
Frauen in vielen Lebenslagen von Kürzungen betroffen
Über 140 Stellungnahmen zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetzesentwurf sind eingegangen, fast 140 davon waren negativ oder zumindest kritisch. Nein, es handelt sich nicht um einen Tippfehler – viele öffentliche Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Jurist*innen haben ihre Bedenken zum Gesetzesentwurf ausgedrückt. Besonders die Auswirkungen auf Kinder und deren Familien, Menschen mit Behinderung, subsidiär Schutzberechtigte, wohnungslose Menschen, Alleinerziehende, Haftentlassene oder pflegende Angehörige wurden beschrieben, analysiert, berechnet. Wie die Bundesregierung mit diesem großen Expert*innenwissen nun umgeht, bleibt abzuwarten.
Auswirkungen auf Frauen bisher kaum debattiert
Wir als Arbeitsgruppe Frauen und Armut im Rahmen der Armutskonferenz wollen uns nochmals speziell zu den Auswirkungen auf Frauen zu Wort melden – eine Sichtweise, die im Moment weder in den Medien noch in der öffentlichen oder politischen Diskussion stark vertreten ist. Und das ist ebenso erstaunlich wie fragwürdig. Denn viele der von den im Gesetzesentwurf vorgestellten Maßnahmen, Kürzungen und Ausschlüssen werden Frauen besonders hart treffen.
Verlässliches Netz für Frauen wird fehlen
Rund 34% der Bezieher*innen der aktuellen Mindestsicherung sind Frauen. Sie haben Betreuungspflichten für minderjährige Kinder, pflegen ihre älteren Angehörigen oder jene mit Behinderung(en), stocken ihre zu geringen Einkommen oder Pensionen auf. Mehr Frauen als Männer sind auf Leistungen der Mindestsicherung angewiesen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass unser Sozialsystem geschlechtsspezifische „Lücken“ aufweist: Frauen verdienen weniger, wenn sie einer Lohnarbeit nachgehen, haben durch Leistungen bei Kinderbetreuung und Pflege kürzere Versicherungszeiten – und daher zumeist geringere Leistungshöhen bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe oder bei Pensionen. Die Gesetzesvorlage zur Sozialhilfe sieht jedoch keine Mindeststandards bei der Leistungshöhe mehr vor, sondern stattdessen Maximalstandards oder Höchstsätze für Einzelpersonen und Bedarfsgemeinschaften. Das bedeutet, nach unten gibt es kein verlässliches und sicheres soziales Netz mehr. Auch Rechtsansprüche sind nicht explizit verankert.
Die Situation für Frauen verschlechtert sich dadurch massiv
Wenn Frauen, die Sozialhilfe beziehen, Kinder haben werden sie mit dem neuen Gesetzesentwurf für das dritte und jedes weitere Kind nur noch 1,50 Euro pro Tag bekommen. Für viele Frauen werden damit alltägliche Ausgaben für die Kinder verunmöglicht.
Zusätzliche Unterstützungsleistungen für beispielsweise Alleinerzieher*innen sind „Kann-Leistungen“. Das bedeutet, die Länder können diese in ihren Ausführungsgesetzen vorsehen oder eben nicht. Rechtsansprüche und somit Verlässlichkeit auf den Bonus haben die Betroffenen nicht. Detaillierte Berechnungen zu den einzelnen Bundesländern haben bereits ergeben, dass auch Alleinerzieher*innen verlieren können und werden – da gleichzeitig die Kinderrichtsätze gekürzt und der Zugang zu weiteren (länderspezifischen) Wohnbeihilfen verschlossen werden sollen. Mindestens einem Drittel der Kinder von Alleinerzieher*innen wird dieser sogenannte Bonus nicht mehr Geld bringen, da er sich durch Kürzungen der Kinderrichtsätze wieder aufhebt.
Die Deckelung bei Haushaltsgemeinschaften liegt im Gesetzesentwurf bei maximal 175% und sieht keinerlei Ausnahmen vor. Alleinerzieher*innen in Wohngemeinschaften wären davon ebenso betroffen wie Frauen in therapeutischen Wohngemeinschaften oder Frauen, die aufgrund von erlebter Gewalt in Wohngemeinschaften ziehen müssen. All dieses Gruppen wären von massiven finanziellen Einbußen betroffen, viele Wohngemeinschaften müssten voraussichtlich aufgelöst werden.
Der sogenannte „Arbeitsqualifizierungsbonus“ ist eigentlich ein Malus-System, da kein Bonus für ein Bemühen vergeben wird, sondern durch eine willkürliche und überzogene (mindestens 35% oder 300 Euro) Leistungskürzung die Lebensgrundlage bedroht wird. Die Ausnahmen sind streng geregelt: So müssen pflegebedürftige Angehörige ein Pflegegeld mindestens der Stufe 3 beziehen und seit mindestens 10 Monaten im Haushalt leben – eine Regelung, die wieder einmal Frauen verstärkt betrifft, da sie die Hauptpflegepersonen sind. Eine Vermittelbarkeit in den Arbeitsmarkt wird mit spezifischen Sprachkenntnissen (Deutsch auf Sprachniveau B1 oder Englisch auf Sprachniveau C1) gleichgesetzt. Gerade für geflüchtete Frauen stellt dies eine zusätzliche Hürde für Integration dar.
Frauen, deren Schutz international anerkannt wurde (subsidiär Schutzberechtigte) und Frauen, die zu bedingten Haftstrafen verurteilt wurden, sollen von Leistungen der Sozialhilfe gänzlich ausgeschlossen werden. Ihnen droht ein Abstürzen auf das Leistungsniveau der aktuellen Grundversorgung, also rund 360 Euro pro Monat inklusive Wohnen.
Mit sozialen Rechten gegen Frauenarmut
Was fehlt ist nicht zuletzt eine Gender-Analyse der möglichen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs von öffentlicher Seite. Als Arbeitsgruppe Frauen und Armut fordern wir daher eine solche vehement ein. Auf Basis unseres Wissens und unserer Erfahrung aus der Arbeit mit von Armut betroffenen Frauen sehen wir in den vorgeschlagenen Maßnahmen keine geeigneten Instrumente zur Bekämpfung von Frauenarmut. Ganz im Gegenteil: Vor dem Hintergrund eines immer noch beschämend großen Lohnunterschiedes zwischen Frauen und Männern, des Rückbaus von Sprachförderungen, Beratungseinrichtungen und kostenfreier Kinderbetreuung befürchten wir eine Verschärfung von Frauenarmut. Die Sozialhilfe als unterstes soziales Netz muss gestärkt und ausgebaut, nicht geschwächt und abgebaut werden. Wir fordern daher bundesweit einheitliche Mindeststandards auf existenzsicherndem Niveau mit Rechtsanspruch, um ein aktives Zeichen gegen Frauenarmut und für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen zu setzen!
Manuela Wade für die AG Frauen und Armut im Rahmen der Österreichischen Armutskonferenz
Veröffentlicht am 24. Jänner 2019