Armut macht die Verwirklichung von Menschenrechten unmöglich

Menschenrechtsansatz für die Gemeindeverwaltung verbessert die Situation – ein Beispiel aus Frankreich

Die Menschenrechte und der Kampf gegen die strukturellen Ursachen der Armut stehen im Mittelpunkt der Gemeindeverwaltung von Grigny in einer Stadt südlich von Paris. Die französische Beobachtungsstelle für Ungleichheiten hat Grigny als ärmste Stadt Frankreichs eingestuft; so lebten letztes Jahr die Hälfte der Bewohner:innen unter der Armutsgrenze.

Philippe Rio ist der Bürgermeister von Grigny, er wurde von der City Mayors Foundation und dem World Mayor Project mit dem Preis für den besten Bürgermeister der Welt ausgezeichnet. "Es ist eine Auszeichnung für die gesamte Gemeinde Grigny, die sich von den Menschenrechten inspirieren ließ, um die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Krise zu bewältigen", sagte Rio. "Ich war nicht derjenige, der 130.000 Masken verteilt und jeden Tag nach den älteren Rentnern gesehen hat. Es war vielmehr die außergewöhnliche Mobilisierung einer Gruppe von Beamt:innen, gewählten Vertreter:inen und Verbänden, die eine neue Partnerschaft in unserem lokalen Ökosystem bildeten, um auf einen Notfall zu reagieren.

"Man braucht Zeit für die Vernunft und Zeit zum Handeln, d.h. um die Ungleichheiten zu verstehen, zu objektivieren und anzuprangern, die eine Stadt wie Grigny zu dem Ort machen, an dem die meisten Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, und heute sind es vor allem Kinder und Frauen, die davon betroffen sind", so Bürgermeister Rio. "Im 'Land der Menschenrechte', der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt, müssen wir diese Phänomene der räumlichen und sozialen Segregation, die das Recht der Menschen auf eine Stadt untergraben, anprangern, verstehen und bekämpfen", fügte Rio hinzu. "Wir sind eine lokale Regierung und unsere Aufgabe ist es, alle Hebel der Kommunalpolitik in Bewegung zu setzen und den Staat herauszufordern, seine Kompetenzen und die anderer lokaler Gemeinschaften mehr und besser zu nutzen."

In Reaktion auf die soziale und wirtschaftliche Krise 2020 hat die Stadt rasch einen Plan zur Armutsbekämpfung erstellt, u.a zur Sicherstellung von Frühstück in Kindergärten, weil „Armut beginnt in der frühen Kindheit und begleitet die Kinder bis zur Grundschule", so Bürgermeister Rio. Der Plan ist generationenübergreifend, da auch viele ältere Menschen von Armut betroffen sind.

Armutsbekämpfung durch Förderung der Menschenrechte

Bürgermeister Rio ist der festen Überzeugung, dass die Armut die Verwirklichung der Menschenrechte untergräbt. Vor zwei Jahren entwickelte er einen Plan zur Armutsbekämpfung mit dem Ziel der Förderung von Würde und Menschenrechten. Rio führt sein menschenrechtsbasiertes Handeln auf sein kontinuierliches Engagement als Ko-Vorsitzender des Ausschusses für soziale Inklusion, partizipative Demokratie und Menschenrechte zurück, einem Gremium der United Cities and Local Governments, dem weltweit größten Netzwerk von Städten und lokalen, regionalen und großstädtischen Regierungen und ihren Verbänden.

"Wenn wir eine Ausbildung für Menschen entwickeln, die keine Ausbildung haben, dann geht es um das Recht auf Bildung und das Recht auf Arbeit. Wenn wir an der Zertifizierung der Stadt des Lernens arbeiten, wollen wir das Recht auf Bildung fördern. Und wenn wir Frauen kostenlos Menstruationsschutz zur Verfügung stellen und uns um die Finanzierung eines Ultraschallgeräts bemühen, damit Frauen in Grigny eine gynäkologische Nachsorge erhalten können, geht es um ihr Recht auf Gesundheit", erklärt Bürgermeister Rio.

"Wir müssen diese erste Meile auf dem Weg zu den Menschenrechten gehen, denn die Armut hat viel zu vielen Menschen den Zugang zu ihren Menschenrechten versperrt", fügte er hinzu. "Wir sind uns auch der Tatsache bewusst, dass das Ausmaß der Verwirklichung einiger dieser Rechte nur über lange Zeiträume hinweg gemessen werden kann."

Rio führte die Tatsache, dass ein Land wie Frankreich eine solche Armut kennen könne, auf ein "französisches Paradoxon" zurück und fügte hinzu, dass das Wort "Gleichheit" im nationalen Motto Liberté, Egalité, Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren habe und dass das Land eine Zeit des Zweifels durchmache. "Man hat uns nur mit der Frage der Identität, der Religion oder der Hautfarbe eingekreist, aber nie dazu gebracht, die Zukunft zu schaffen, die wir brauchen", so Bürgermeister Rio. Im Vorfeld der olympischen Spiele in Paris haben die Bürgermeister:innen der umliegenden Städte den Conseil national des solutions (Nationaler Rat für Lösungen) gegründet, um positive Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Quelle

Office of the High Commissioner for Human Rights
Veröffentlicht am 07.12.2021